Tierversuche von Bo Ri Seo (et al.) belegen, dass mechanische Druckanwendung die Muskelregeneration fördert, und erklären damit wesentliche Aspekte der Heilwirkung von Massage

Landschaft mit Bäumen

In der Studie „Skeletal muscle regeneration with robotic actuation–mediated clearance of neutrophils“ zeigen Bo Ri Seo et al. (20211Bo Ri Se, Christopher J. Payne, Stephanie L. McNamara, Benjamin R. Freedman, Brian J. Kwee, Sungmin Nam, Irene de Lazaro, Max Darnell, Jonathan T. Alvarez, Maxence O. Dellacherie, Herman H. Vandenburgh, Conor J. Walsh, David J. Mooney: Skeletal muscle regeneration with robotic actuation–mediated clearance of neutrophils. Sci. Transl. Med., 6 Oct 2021, Vol 13, Issue 614, eabe8868 (2021), DOI: 10.1126/scitranslmed.abe8868. https://www.science.org/doi/10.1126/scitranslmed.abe8868.) an verletzten Mäusebeinen, dass mechanische Druckanwendung (in der Studie wegen der exakten Kontrolle durch einen Roboter durchgeführt) zu einer deutlichen Reduktion der Gewebeschäden führt, weil die durch die Verletzung ausgelöste Immunreaktion des Körpers schneller beendet wird.

Um den Einfluss der Massage besser vergleichbar zu machen, benutzten die Forscher*innen einen eigens entwickelten Roboter, der das Muskelgewebe der verletzten Mäusebeine mit einer weichen Silikonspitze und genau einstellbaren Druckkräften („Echtzeit-Kraftkontrolle“ mit beliebiger Belastungsstärke, -frequenz, -dauer, und -form) bearbeitete. Mit Hilfe von Ultraschalluntersuchungen wurde die Wirkung der Massagen überwacht und über die Gesamtverformung des Gewebes quantifiziert.2Die Forscher*innen haben zugleich auch ein Rechenmodell entwickelt, mit dem sie die Gewebedehnung bei Änderungen der Gewebeeigenschaften und der Belastungsparameter vorhersagen konnten.

Immunreaktionen bei Muskelverletzungen

Verletzungen der Skelettmuskulatur3Quergestreifte Muskeln, die vor allem für die willkürlichen, aktiven Körperbewegungen zuständig sind, zum Beispiel für die Bewegung von Armen und Beinen., die z.B. durch Unfälle, aber auch Tumorresektionen verursacht werden, beeinträchtigen die Körperhaltung ebenso wie die funktionale Fortbewegung, was letztlich die Aktivitäten des täglichen Lebens einschränkt und die Lebensqualität mindert. Umfangreiche Defekte, d.h. der Verlust von 20 und mehr Prozent Muskelmasse, so die Autor*innen, erfordern therapeutische Eingriffe zur Unterstützung der funktionellen Regeneration, für die die regenerative Muskelfaserbildung und -reifung entscheidend ist. Gesteuert wird dieser Prozess nach heutigen Erkenntnissen nicht nur von Muskelvorläuferzellen4Muscle progenitor cells (MPCs), die das Paired-Box-Gen Pax-75Das Paired-Box-Gen Pax-7 ist ein gewebespezifischer Transkriptionsfaktor exprimieren6Genexpression oder Exprimierung bedeutet die Herstellung eines Proteins oder Polypeptids in Lebewesen durch die Umsetzung der in der DNA gespeicherten Informationen., sondern auch von sogenannten Satellitenzellen.7Muskelfasern können sich nicht teilen, weshalb bei einer Verletzung des Muskelgewebes die zerstörten Fasern durch neue ersetzt werden müssen, die aus Satellitenzellen hervorgehen. Diese sind multipotente Stammzellen des Skelettmuskels, die im Normalfall ruhen, aber durch Verletzungen des Muskelgewebes zur Proliferation und Differenzierung angeregt werden.

Der Regenerationsprozess fällt mit einer Abfolge von Immunreaktionen zusammen, und Immunzellen sind an der Beseitigung geschädigter Muskelfasern beteiligt. Die von diesen Zellen ausgeschütteten spezifischen Zytokine8Zytokine sind eine Gruppe von regulatorischen Peptiden oder Proteinen, die der Signalübertragung zwischen Zellen dienen und deren Proliferation und Differenzierung steuern. und Wachstumsfaktoren9Wachstumsfaktoren sind körpereigene Botenstoffe, die auf Zellen eine aktivierende Wirkung ausüben und sie zu Teilung und Vermehrung anregen können. modulieren, wie die Autor*innen ausführen, die Abfolge der Satellitenzellaktivierung und -differenzierung und weisen benachbarte Stromazellen10Die Stromazellen, vor allem Fibrozyten und Fibroblasten, sind die Zellen eines Organs, die eine allgemeine Stütz- und Ernährungsfunktion ausüben. an, sich an der Umgestaltung der extrazellulären Matrix11Die extrazelluläre Matrix (Interzellularsubstanz) ist jener Teil des Gewebes, der zwischen den Zellen liegt und sie geflechtartig umgibt. Sie füllt die Zwischenräume der Zellen aus und vermittelt so den Kontakt zwischen ihnen. und der Angiogenese12Angiogenese bedeutet die Entstehung neuer Blutgefäße aus vorbestehenden Blutgefäßen und ist Bestandteil sowohl physiologischer (z.B. Wundheilung), als auch pathologischer Prozesse (z.B. Tumorwachstum). zu beteiligen.

Zwar werden, so die Autor*innen, immunmodulatorische Wirkstoffe und Materialien als neue therapeutische Strategie im klinischen Bereich zur Behandlung von Muskeldefekten eingesetzt, bei schweren Muskelverletzungen ist die chirurgische Intervention mit autologen13Autolog: zur selben Person gehörend. Muskellappen aber immer noch die Standardtherapie – trotz der Morbidität an den Entnahmestellen. Nach wie vor besteht aber großer klinischer Bedarf an einer einfachen, nicht-invasiven Therapie für die Behandlung schwerer Skelettmuskelverletzungen, da die vorliegenden Studien zur Auswirkung von Mechanotherapien auf schwere Muskelverletzungen uneindeutig und nicht ausreichend belastbar sind.

Die Auswirkungen mechanischer Belastung auf verletztes Gewebe

Die Anwendung mechanischer Belastung (Mechanotherapie) auf verletztes Gewebe (z.B. Massagebehandlungen) sind weit verbreitet und verbessern erfahrungsgemäß die Rehabilitation der Muskulatur, wahrscheinlich durch eine Steigerung der Durchblutung, eine Verringerung von Entzündungen und eine Stärkung der mitochondrialen Biogenese.14Die mitochondriale Biogenese ist jener Prozess, durch den Zellen die Anzahl der Mitochondrien erhöhen. Ihre Auswirkungen auf schwere Muskelverletzungen ist allerdings noch unklar, wenngleich klinische und präklinische Studien darauf hindeuten, dass es durch mechanische Einwirkungen zu einer beschleunigten Heilung kommt. Ein direkter Zusammenhang zwischen den spezifischen zellulären und molekularen Komponenten der verringerten Entzündung und der funktionellen Regeneration ist jedoch noch nicht eindeutig nachgewiesen.

Ziel der Studie

Ziel der Studie war einerseits die Identifikation von Therapieschemata für eine nicht-invasive Mechanotherapie bei schweren Skelettmuskelverletzungen und andererseits die Untersuchung des funktionalen Zusammenhangs zwischen mechanischer Therapie und Regeneration.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Bo Ri Se, Christopher J. Payne, Stephanie L. McNamara, Benjamin R. Freedman, Brian J. Kwee, Sungmin Nam, Irene de Lazaro, Max Darnell, Jonathan T. Alvarez, Maxence O. Dellacherie, Herman H. Vandenburgh, Conor J. Walsh, David J. Mooney: Skeletal muscle regeneration with robotic actuation–mediated clearance of neutrophils. Sci. Transl. Med., 6 Oct 2021, Vol 13, Issue 614, eabe8868 (2021), DOI: 10.1126/scitranslmed.abe8868. https://www.science.org/doi/10.1126/scitranslmed.abe8868.
  • 2
    Die Forscher*innen haben zugleich auch ein Rechenmodell entwickelt, mit dem sie die Gewebedehnung bei Änderungen der Gewebeeigenschaften und der Belastungsparameter vorhersagen konnten.
  • 3
    Quergestreifte Muskeln, die vor allem für die willkürlichen, aktiven Körperbewegungen zuständig sind, zum Beispiel für die Bewegung von Armen und Beinen.
  • 4
    Muscle progenitor cells (MPCs)
  • 5
    Das Paired-Box-Gen Pax-7 ist ein gewebespezifischer Transkriptionsfaktor
  • 6
    Genexpression oder Exprimierung bedeutet die Herstellung eines Proteins oder Polypeptids in Lebewesen durch die Umsetzung der in der DNA gespeicherten Informationen.
  • 7
    Muskelfasern können sich nicht teilen, weshalb bei einer Verletzung des Muskelgewebes die zerstörten Fasern durch neue ersetzt werden müssen, die aus Satellitenzellen hervorgehen. Diese sind multipotente Stammzellen des Skelettmuskels, die im Normalfall ruhen, aber durch Verletzungen des Muskelgewebes zur Proliferation und Differenzierung angeregt werden.
  • 8
    Zytokine sind eine Gruppe von regulatorischen Peptiden oder Proteinen, die der Signalübertragung zwischen Zellen dienen und deren Proliferation und Differenzierung steuern.
  • 9
    Wachstumsfaktoren sind körpereigene Botenstoffe, die auf Zellen eine aktivierende Wirkung ausüben und sie zu Teilung und Vermehrung anregen können.
  • 10
    Die Stromazellen, vor allem Fibrozyten und Fibroblasten, sind die Zellen eines Organs, die eine allgemeine Stütz- und Ernährungsfunktion ausüben.
  • 11
    Die extrazelluläre Matrix (Interzellularsubstanz) ist jener Teil des Gewebes, der zwischen den Zellen liegt und sie geflechtartig umgibt. Sie füllt die Zwischenräume der Zellen aus und vermittelt so den Kontakt zwischen ihnen.
  • 12
    Angiogenese bedeutet die Entstehung neuer Blutgefäße aus vorbestehenden Blutgefäßen und ist Bestandteil sowohl physiologischer (z.B. Wundheilung), als auch pathologischer Prozesse (z.B. Tumorwachstum).
  • 13
    Autolog: zur selben Person gehörend.
  • 14
    Die mitochondriale Biogenese ist jener Prozess, durch den Zellen die Anzahl der Mitochondrien erhöhen.

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