Erklärungsmodelle für den Einfluss körperlicher Aktivität auf das Krebsrisiko

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Ein unzureichendes Maß an körperlicher Aktivität, so Michael Leizmann in seiner Studie (20151Michael Leitzmann, Hilary Powers, Annie S. Anderson, Chiara Scocciant, Franco Berrino, Marie-Christine Boutron-Ruault, Michele Cecchini, Carolina Espina, Timothy J. Key, Teresa Norat, Martin Wiseman & Isabelle Romieu (2015): European Code against Cancer 4th Edition: Physical activity and cancer. Cancer Epidemiology. Volume 39, Supplement 1, December 2015, S. 46-55. https://doi.org/10.1016/j.canep.2015.03.009.
Siehe die Zusammenfassung auf der Website der Grünen Masseur*innen.
), ist „beunruhigend, da es zahlreiche epidemiologische Belege dafür gibt, dass körperliche Aktivität mit einem geringeren Risiko für Dickdarm-, Endometrium- und Brustkrebs einhergeht.“ So wird, Leizmann folgend, beispielsweise angenommen, dass ein unzureichendes Maß an körperlicher Betätigung für 9 % der Brustkrebsfälle und 10 % der Darmkrebsfälle in Europa verantwortlich ist. Bei Lungen-, Bauchspeicheldrüsen-, Eierstock-, Prostata-, Nieren- und Magenkrebs hingegen seien die Belege für eine positive Wirkung körperlicher Aktivität weniger eindeutig.

Die biologischen Mechanismen, die dem Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Krebsrisiko zugrunde liegen, sind bislang nur unvollständig geklärt, aber zu den potenziellen ätiologischen Mechanismen gehören Insulinresistenz2Unter Insulinresistenz versteht man eine verminderte oder aufgehobene Wirkung des Peptidhormons Insulin in den peripheren Geweben., Wachstumsfaktoren3Wachstumsfaktoren sind körpereigene Eiweiße, die die Zellteilung und damit das Wachstum von Geweben und Organen fördern. Sie sind für den Zellen- und Gewebeaufbau notwendige Stoffe, können jedoch auch in der Entwicklung von Tumoren eine Rolle spielen., Adipozytokine4Adipozytokine sind Eiweißhormone, die im Fettgewebe gebildet werden und bei vielen Erkrankungen eine zentrale Rolle spielen. Adiponectin und Leptin gelten aktuell als die beiden wichtigsten Adipozytokine. Beide zeigen eine Vielzahl immunologischer Funktionen und regulieren im gesamten Körper Entzündungsreaktionen (weshalb das Fettgewebe heute als Bestandteil des Immunsystems gesehen wird)., Steroidhormone5Steroidhormone sind Botenstoffe, die Informationen zwischen Geweben vermitteln. Die wichtigsten natürlich vorkommenden Steroidhormone beim Menschen sind die männlichen (z.B. Testosteron) und weiblichen Geschlechtshormone (z.B. Östrogen) und die Hormone der Nebennierenrinde, wie Cortisol und Aldosteron. und die Immunfunktion. Körperliche Aktivität, davon geht man aus, kann diese Mechanismen direkt oder indirekt (durch eine Verringerung der Körpermasse6Die meisten Mechanismen sind auch mit Übergewicht und Adipositas verknüpft, weshalb es mit den derzeit verfügbaren Daten schwierig ist, die Auswirkungen körperlicher Aktivität von den Auswirkungen auf das Körpergewicht zu trennen.) beeinflussen. Zudem: Da die Krebsentstehung ortsspezifisch ist, ist es auch wahrscheinlich, dass die Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Krebsrisiko erklären, ebenfalls eine gewisse Ortsspezifität aufweisen.

Körperliche Aktivität wirkt auf den Körperfettanteil

Ein erhöhter Körperfettanteil geht bei Frauen mit einer erhöhten Konzentration zirkulierender Östrogene und Androgene, einer vermehrten Produktion proinflammatorischer Zytokine7Zytokine sind Botenstoffe, die bei einer Reaktion des Immunsystems gebildet werden und bestimmte Abwehrzellen aktivieren. Sie haben Effekte auf Entzündungsprozesse, Bakterienvermehrung und die Entstehung von Krebs. Zu ihnen gehören Interferone (Interleukine) und Interleukin-6 gehört zur Gruppe der proinflammatorischen Interleukine. und einer geringeren Konzentration von Sexualhormon-bindendem Globulin (SHBG)8Das Sexualhormon-bindendes-Globulin (SHBG) ist ein von der Leber gebildeter Bluteiweißstoff, der die männlichen Sexualhormone Testosteron, Dihydrotestosteron sowie die weiblichen Sexualhormone aus der Gruppe der Östrogene im Blut bindet, speichert und transportiert. einher. Zudem ist für Adipositas auch eine Insulinresistenz charakteristisch. Und beiden Faktoren ist gemeinsam, dass sie mit einem erhöhten Krebsrisiko an verschiedenen Stellen des Körpers in Verbindung gebracht werden. Höhere Östrogen- und Androgen-Konzentrationen werden beispielsweise mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs wie auch für Endometrium(Gebärmutter-)krebs in Verbindung gebracht. Erhöhte Konzentrationen von Entzündungsmarkern werden in Verbindung mit einem erhöhten Krebsrisiko an verschiedenen Körperstellen in Verbindung gebracht, ebenso Insulinresistenz, einschließlich Brust-, Dickdarm- und Endometriumkrebs.

Körperliche Aktivität kann den Körperfettanteil reduzieren und das Krebsrisiko indirekt durch die damit verbundenen positiven Auswirkungen auf Sexualhormone und Entzündungszytokine sowie durch eine Verringerung der Insulinresistenz positiv beeinflussen. Die Auswirkungen körperlicher Aktivität auf die Konzentrationen von Wachstumsfaktoren und deren Bindungsproteine sind jedoch nicht eindeutig.

Inwieweit körperliche Aktivität auch unabhängig von den Auswirkungen auf den Körperfettanteil positive Auswirkungen auf das Krebsrisiko hat, ist ebenfalls noch nicht endgültig geklärt. Auf alle Fälle gibt es Hinweise darauf, dass körperliche Aktivität die Auswirkungen von Übergewicht auf Entzündungsmarker9Vgl. K. Strohacker, R.R. Wing, J.M. McCaffery: Contributions of body mass index and exercise habits on inflammatory markers: a cohort study of middle-aged adults living in the USA. BMJ Open, 3 (5) (2013), 10.1136/bmjopen-2013-002623. und auch die Hyperinsulinämie10Hyperinsulinämie: eine über das normale Maß hinausgehende erhöhte Konzentration von Insulin im Blut. (unabhängig von Veränderungen des Körperfettanteils verringern kann.11Vgl. L.L. Frank, B.E. Sorensen, Y. Yasui, S.S. Tworoger, R.S. Schwartz, C.M. Ulrich, et al.: Effects of exercise on metabolic risk variables in overweight postmenopausal women: a randomized clinical trial. Obes Res, 13 (3) (2005), S. 615-625 und C.M. Friedenreich: Physical activity and breast cancer: review of the epidemiologic evidence and biologic mechanisms. Recent Results Cancer Res, 188 (2011), S. 125-139. abmildern kann.

Körperliche Aktivität wirkt auf die Immunfunktion

Ein anderer Erklärungsmechanismus, wie körperliche Aktivität das Krebsrisiko verringern könnte, sind Auswirkungen auf die Immunfunktion und den oxidativen Stress und die damit verbundenen Schädigungen der DNA. Die Beziehung zwischen körperlicher Aktivität und Immunfunktion ist allerdings komplex, wobei es einige Hinweise auf eine j-förmige Kurve zwischen der der Intensität der körperlichen Betätigung und der (gemessenen) Immunfunktion gibt.

Die Ergebnisse sind bislang uneinheitlich und lassen keine klaren Schlussfolgerungen zu, da oxidaive Schäden an der DNA – die Produktion reaktiver Sauerstoffspezies12Reaktive Sauerstoffspezies (ROS) sind Sauerstoff-enthaltende Moleküle mit sehr großer chemischer Reaktionsbereitschaft, wie z.B. Hyperoxid-Anion, Hydroxyl-Radikal, Wasserstoffperoxid oder Ozon, die insbesondere beim sogenannten oxidativen Stress von Bedeutung sind. kann durch sehr intensisve körperliche Aktivität erhöht werden, wodurch sich das Risiko von DNA-Schäden erhöht – zu Mutationen und Krebs führen kann. Andererseits aber kann die erhöhte Produktion reaktiver Sauerstoffspezies auch DNA-Reparaturmechanismen hochregulieren13Vgl. Y. Sato, H. Nanri, M. Ohta, H. Kasai, M. Ikeda: Increase of human MTH1 and decrease of 8-hydroxydeoxyguanosine in leukocyte DNA by acute and chronic exercise in healthy male subjects. Biochem Biophys Res Commun, 305 (2) (2003), S. 333-338 und S.W. Cash, S.A. Beresford, T.L. Vaughan, P.J. Heagerty, L. Bernstein, E. White, et al.: Recent physical activity in relation to DNA damage and repair using the comet assay. J Phys Act Health, 11 (4) (2013), S. 770-776., womit die Gesamtwirkung von körperlicher Aktivität vom Gleichgewicht zwischen diesen beiden Prozessen abhängt.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Michael Leitzmann, Hilary Powers, Annie S. Anderson, Chiara Scocciant, Franco Berrino, Marie-Christine Boutron-Ruault, Michele Cecchini, Carolina Espina, Timothy J. Key, Teresa Norat, Martin Wiseman & Isabelle Romieu (2015): European Code against Cancer 4th Edition: Physical activity and cancer. Cancer Epidemiology. Volume 39, Supplement 1, December 2015, S. 46-55. https://doi.org/10.1016/j.canep.2015.03.009.
    Siehe die Zusammenfassung auf der Website der Grünen Masseur*innen.
  • 2
    Unter Insulinresistenz versteht man eine verminderte oder aufgehobene Wirkung des Peptidhormons Insulin in den peripheren Geweben.
  • 3
    Wachstumsfaktoren sind körpereigene Eiweiße, die die Zellteilung und damit das Wachstum von Geweben und Organen fördern. Sie sind für den Zellen- und Gewebeaufbau notwendige Stoffe, können jedoch auch in der Entwicklung von Tumoren eine Rolle spielen.
  • 4
    Adipozytokine sind Eiweißhormone, die im Fettgewebe gebildet werden und bei vielen Erkrankungen eine zentrale Rolle spielen. Adiponectin und Leptin gelten aktuell als die beiden wichtigsten Adipozytokine. Beide zeigen eine Vielzahl immunologischer Funktionen und regulieren im gesamten Körper Entzündungsreaktionen (weshalb das Fettgewebe heute als Bestandteil des Immunsystems gesehen wird).
  • 5
    Steroidhormone sind Botenstoffe, die Informationen zwischen Geweben vermitteln. Die wichtigsten natürlich vorkommenden Steroidhormone beim Menschen sind die männlichen (z.B. Testosteron) und weiblichen Geschlechtshormone (z.B. Östrogen) und die Hormone der Nebennierenrinde, wie Cortisol und Aldosteron.
  • 6
    Die meisten Mechanismen sind auch mit Übergewicht und Adipositas verknüpft, weshalb es mit den derzeit verfügbaren Daten schwierig ist, die Auswirkungen körperlicher Aktivität von den Auswirkungen auf das Körpergewicht zu trennen.
  • 7
    Zytokine sind Botenstoffe, die bei einer Reaktion des Immunsystems gebildet werden und bestimmte Abwehrzellen aktivieren. Sie haben Effekte auf Entzündungsprozesse, Bakterienvermehrung und die Entstehung von Krebs. Zu ihnen gehören Interferone (Interleukine) und Interleukin-6 gehört zur Gruppe der proinflammatorischen Interleukine.
  • 8
    Das Sexualhormon-bindendes-Globulin (SHBG) ist ein von der Leber gebildeter Bluteiweißstoff, der die männlichen Sexualhormone Testosteron, Dihydrotestosteron sowie die weiblichen Sexualhormone aus der Gruppe der Östrogene im Blut bindet, speichert und transportiert.
  • 9
    Vgl. K. Strohacker, R.R. Wing, J.M. McCaffery: Contributions of body mass index and exercise habits on inflammatory markers: a cohort study of middle-aged adults living in the USA. BMJ Open, 3 (5) (2013), 10.1136/bmjopen-2013-002623.
  • 10
    Hyperinsulinämie: eine über das normale Maß hinausgehende erhöhte Konzentration von Insulin im Blut.
  • 11
    Vgl. L.L. Frank, B.E. Sorensen, Y. Yasui, S.S. Tworoger, R.S. Schwartz, C.M. Ulrich, et al.: Effects of exercise on metabolic risk variables in overweight postmenopausal women: a randomized clinical trial. Obes Res, 13 (3) (2005), S. 615-625 und C.M. Friedenreich: Physical activity and breast cancer: review of the epidemiologic evidence and biologic mechanisms. Recent Results Cancer Res, 188 (2011), S. 125-139.
  • 12
    Reaktive Sauerstoffspezies (ROS) sind Sauerstoff-enthaltende Moleküle mit sehr großer chemischer Reaktionsbereitschaft, wie z.B. Hyperoxid-Anion, Hydroxyl-Radikal, Wasserstoffperoxid oder Ozon, die insbesondere beim sogenannten oxidativen Stress von Bedeutung sind.
  • 13
    Vgl. Y. Sato, H. Nanri, M. Ohta, H. Kasai, M. Ikeda: Increase of human MTH1 and decrease of 8-hydroxydeoxyguanosine in leukocyte DNA by acute and chronic exercise in healthy male subjects. Biochem Biophys Res Commun, 305 (2) (2003), S. 333-338 und S.W. Cash, S.A. Beresford, T.L. Vaughan, P.J. Heagerty, L. Bernstein, E. White, et al.: Recent physical activity in relation to DNA damage and repair using the comet assay. J Phys Act Health, 11 (4) (2013), S. 770-776.

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