Was unterscheidet Tatsachen und Meinungen?

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Im Rahmen der Veranstaltung „Fachdidaktik kontrovers“ der Universität Wien (in Kooperation mit Philosoph Konrad Paul Liessmann und dem Standard, https://fdz-pp.univie.ac.at/veranstaltungen/aktuelles/fachdidaktik-kontrovers) hielt die Philosophin Univ.-Prof. Dr. Sophie Loidolt (Darmstadt) am 20. März 2019 einen Vortrag („Urteilen 2.0. Mit Arendt zu den Bedingungen des Urteilens in einer Kultur der Digitalität“, nachzuhören unter https://fdz-pp.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/z_fdz_pp/FDZ-Dateien/Audio_Loidolt.3gp). Im Standard erschien dazu am 19. März ein Interview unter dem Titel „Tatsachen werden zu Meinungen umformuliert“ (https://derstandard.at/2000099763667/Philosophin-Sophie-Loidolt-Tatsachen-werden-zu-Meinungen-umformuliert), in dem sie nachfolgende Kernthesen formulierte.

  • Fake-News, ein Begriff, der schon seit 1890 im Sprachgebrauch amerikanischer Zeitungen ist, wurde früher eher mit totalitäten Staaten und Diktaturen assoziiert, wohingegen die freie Presse in der westlichen Welt als hoher Wert betrachtet wurde. Das, was jetzt – vor allem mit Trump – stattfindet, bedeutet einen fundamentalen Angriff auf diese Säule der Demokratie.
  • Die große Gefahr besteht darin, dass man beginnt, skrupellos Tatsachen zu Meinungen umzuformulieren. Konstant wird dabei der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge infragegestellt und bagatellisiert – da ja doch alles nur eine Meinung ist.
  • Es wird dabei so getan, als ob es keine Mittel gäbe, Dinge objektiv festzustellen. Die Begriffe von Tatsache und Meinung erodieren damit. Es entsteht zunehmend der Eindruck, dass man ohnehin nicht (mehr) wirklich sagen kann, was stimmt und was nicht.
  • Eine Tatsachenwahrheit (z.B. was ist gestern um 16.47 an diesem Ort passiert?) kann man zwar unterschiedlich schildern, aber man kann nicht einfach irgendwas sagen.
  • Eine Lüge ist nicht einfach das neutrale Gegenteil der Wahrheit (das wäre aus der logischen Perspektive „Falschheit“), sondern eine bestimmte Art des Handelns (auch des politischen Handelns). Denn wenn man lügt, will man ganz bewusst eine Tatsachenwahrheit aus der Welt schaffen.
  • Wenn man bei einer Vernunftwahrheit sagt „zwei plus zwei ist fünf“, dann läuft man viel eher Gefahr, sich lächerlich zu machen als bei einer Tatsachenwahrheit, die viel fragiler ist. Denn wenn viele sagen, dass etwas gar nicht (so) passiert ist, dann wird man leicht unsicher, weil man (meist) keine Beweise hat.
  • Die Lüge ist nicht einfach das neutrale Gegenteil der Wahrheit sondern eine ganz bestimmte handlungsorientierte Attacke auf die Welt als Tatsachenbestand (z.B. in einer politischen Auseinandersetzung mit nicht sehr lauteren Mitteln).
  • Hannah Arendt schreibt in „Wahrheit und Politik“: „Die Trennungslinie zwischen Tatsachen und Meinungen zu verwischen ist eine der Formen der Lüge.“
  • Mit Trump ist die ständige Verunsicherung, dass es ja eigentlich gar keine Wahrheitsquelle mehr gibt, nichts, worauf wir uns vermeintlich verlassen können, eine explizite Sorge für den Alltag geworden.
  • Filterblase und Echokammern: Auch früher umgab man sich mit Menschen, die ähnliche Meinungen hatten, wie man selbst. Allerdings war man früher nicht ständig mit unterschiedlichen Meinungen konfrontiert, sondern suchte homogene Umfelder. Heute aber kann man – und das ist eine Steigerung – seinen eigengen Newsfeed zusammenstellen und konsumiert nur noch das – ohne Kontrolle allerdings darüber, wie die Algorithmen vorselektieren.
  • Was wichtig ist: Schon in der Alltagspraxis, auch bei privaten Gesprächen darauf zu achten, Tatsachenaussagen und Meinungen nicht zu vermischen. Also zu sagen: Das ist so und so, und ich verhalte mich so und so dazu. Das ist auch hilfreich, wenn man andere Perspektiven einbeziehen will. Ansonsten entsteht sofort Konflikt, weil wir ja gar nicht mehr in derselben Welt leben.
  • Es bringt uns weniger auseinander, wenn wir sagen: „Das ist passiert, aber ich sehe das wirklich anders“. Mit der Einigung auf eine gemeinsame Basis, auf die man sich bezieht, entsteht eine stärkere Bindung.
  • Ein bestimmendes Urteil (im Sprachgebrauch von Kant) ist eine Beurteilung, ob etwas wahr oder falsch ist. Dazu ist es notwendig, sich den Sachverhalt zu vergegenwärtigen und herauszufinden versuchen, ob etwas tatsächlich so oder so ist.
  • Die andere Form des Urteils nennt Kant ein reflektierendes Urteil, z.B. ob ein Kunstwerk schön oder nicht schön ist. Hier gibt es nicht nur ein Urteil, weil das ästhetische Urteil immer ein dynamisches Hin und Her ist zwischen dem Bezug auf eine Sache oder Gegenstand und der der intersubjektiven Kommunikationsgemeinschaft.
  • Vieles in der Politik, so Hannah Arendt ähnelt dem reflektierenden Urteil, da es dort viele Themen gibt, bei denen nicht leicht zu entscheiden ist, ob etwas z.B. moralisch gut oder schlecht ist. Es gibt verschiedene Aspekte, die man abwägen kann, aber keine eindeutigen Urteile. In diesem Fall kann man sagen: „Ich bin dafür, denn ich sehe das so oder so“, aber man kann nicht sagen: „Ich habe recht und alle anderen haben unrecht“. Eine Tatsache kann wahr oder falsch sein, nicht aber eine Meinung: die kann unterschiedlich sein. Das ist urteilen, bewerten.
  • Im Fahrwasser der Fake-News-Debatte ist auch die Wissenschaft in eine Legitimationskrise geraten und wurde in den Bereich der Meinung hineingezogen. Die Wissenschaft hatte letztlich meist den Vorteil (im Vergleich z.B. mit der Philosophie), dass die technische Anwendung auf ihrer Seite steht und insofern auch pragmatische Argumente.
  • Aktuell sind die Naturwissenschaften aber in einer Lage, wo sie (wie z.B. im Bereich des Klimawandels) wollen, dass politisch gehandelt werden und „stoßen hart mit der Politik zusammen“. Das ist ähnlich wie Galileo Galilei, der Behauptungen machte, die der katholischen Kirche nicht entsprochen haben. Auch da wurde gesagt: „Falsch, Ketzer, stimmt nicht“.
  • Viel problematischer als eine politische Auseinandersetzung über Themen wie den Klimawandel ist aber die Unterwanderung der Wissenschaften durch die Ökonomie in allen Bereichen. Universitäten werden zu Betrieben gemacht, die nach einer ökonomischen Logik geführt werden. Hier besteht die Gefahr, dass die Wahrheitssuche in der Wissenschaft von innen unterminiert wird.