Ist Heilmassage eine wirksame Maßnahme oder nur eine Ergänzung der Aktivbehandlung? (Kurzbericht zur Podiumsdiskussion am 24.01.2018)

Erde - Sonnenaufgang

Moderiert hat die Diskussion am 24. Jänner Mag. Dr. Sonia Raviola MSc, wobei sich ganz kurzfristig aus Krankheitsgründen noch Rochaden am Podium ergeben haben: Frau Silvia Meriaux-Kratochvila von Physio Austria erkrankte und für sie ist Constance Schlegl MPH eingesprungen, ebenfalls Präsidiumsmitglied von Physio Austria. Das gleiche Schicksal ereilte Frau Silvia Kollos-Bochdansky, Physiotherapeutin und Lehrtherapeutin in Vorarlberg. Ihr inhaltlicher Beitrag konnte aber leider nicht delegiert werden. Ihren Platz am Podium nahm Herr Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp MBA (Gesundheitsökonom und Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der AK NÖ) ein.

Dass es spannend war, war zum einen dem Thema geschuldet, zum anderen den hochkarätigen Teilnehmer*innen, die ihre Standpunkte klar und nachvollziehbar dargelegt haben und damit Übereinstimmungen, unterschiedliche Betrachtungsweisen wie auch „Verwerfungen“ in dieser Thematik gut aufzeigen konnten. Ihre thematischen Schwerpunkte sind nachfolgend verkürzt dargestellt, und wer sich noch vor dem ausführlicheren Bericht weiter vertiefen möchte, sei auf das Tondokument verwiesen.

Die Begrüßung erfolgte durch LIM Petra Felber, danach übernahm die Moderatorin und stellte die Diskutant*innen wie auch „Ehrengäste“ im Publikum vor. Grundsätzlich war die Veranstaltung so geplant, dass sich die Diskussion nicht auf das Podium beschränkt und deshalb zusätzlich zu den geladenen Mitgliedern Fachleute aus unterschiedlichen Richtungen ins Publikum geladen wurden.

Diskutant*innen

Die Diskutant*innen (von links nach rechts): Dr. Ingrid Wilbacher, Univ-Prof. Dr. Gerold Ebenbichler, LIM Petra Felber, Mag. Gabriele Wieser-Fuchs, Prim. Prof. Dr. Andrea Zauner-Dungl, Constance Schlegl MPH, Hon. Prof. Dr. Rupp MBA, Romana Schöberl, Mag. Dr. Sonia Raviola MSc)

Frau Prim. Prof. Dr. Zauner-Dungl (Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Universitätsklinikum Krems) eröffnete die Diskussion damit, dass sie – wissend um die Stärken und Schwächen von Heilmassage ebenso wie Physiotherapie – für ihre Patient*innen froh über die Wahlmöglichkeit ist. Diese allerdings wird mit dem „Salzburger Modell“ aus ihrer Sicht auf nicht nachvollziehbare Weise eingeschränkt. Manchmal sei es eine akutmedizinische Behandlung notwendig, die Behandlung mit Bewegungstherapie zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht möglich.

Für sie als Ärztin sei es unverzichtbar, dass zum Wohle der Patient*innen das breite Spektrum zur Verfügung steht und eine Gesamtstrategie entwickelt wird. Die Vielfalt ist gut, weil sie den Patient*innen nützt.

Masseur*innen, so ruft Dr. Zauner-Dung in Erinnerung, befassen sich in ihrer Ausbildung zum*zur medizinischen bzw. Heilmasseur*in 410 bzw. 620 Stunden mit Massage im Unterricht – das Praktikum kommt noch zusätzlich dazu. Demgegenüber werden der Massage in der Physiotherapieausbildung etwa 60 bis 80 Stunden gewidmet.

Es sei ihr nicht verständlich, warum der gesetzlich definierte Gesundheitsberuf Heilmassage „ausradiert“ werden soll, denn darauf führe das „Salzburger Modell“ letztlich hin. Und sie erinnert an eine Initiative in den 90er-Jahren, in der es darum ging, dass Lymphdrainage nur von Physiotherapeut*innen gemacht werden dürfe. Das wurde glücklicherweise gestoppt, weil es dadurch zu einer massiven Minderversorgung gekommen ist. Zwar haben Physiotherapeut*innen Lymphdrainage in ihrem Ausbildungsspektrum, ihre Primärorientierung ist aber oft eine andere als (vorrangig) Lymphdrainagen zu machen. Masseur*innen hingegen machen das gerne.

Ihr Wunsch ist, dass die beiden Berufsgruppen einander mit Wertschätzung begegnen und kein Zweifel besteht, dass Massage wie Physiotherapie ihre Berechtigung haben und beide zielführend zu verordnen sind.

Frau Dr. Ingrid Wilbacher (Hauptverband der Sozialversicherungsträger) legt als Expertin für Evidence Based Medicine-Recherchen die „Makrosicht“ dar. Sie und ihre Kolleginnen sind der Frage nach der Evidenz nachgegangen, dem wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von Massage. Nach einer Beschreibung der Vorgehensweise berichtet sie, dass viele Studienergebnisse widersprüchlich sind, dass aber Massage wegen des höheren Nutzens für Patient*nnen generell in Kombination mit Bewegungstherapie empfohlen wird.

Das Evidenzniveau für Massagebehandlungen ist grundlegend niedrig, dennoch wäre es nach all den Leitlinienempfehlungen und Ergebnissen aus systematischen Übersichtsarbeiten und teilweise auch Einzelstudien unzulässig, Massage allein anzuwenden, weil eine recht durchgängige Empfehlung dahintersteht, Massage in Kombination mit Bewegung anzuwenden.

Das wichtigste Ziel ist für sie, den Weg mit dem größten Patient*innennutzen zu suchen, und Evidenzbasierung ist der Weg zur Objektivierung von einzelnen Erfahrungen.

Herr Univ-Prof. Dr. Gerold Ebenbichler (Universitätsklinik für physikalische Medizin, Rehabilitation & Arbeitsmedizin, MUW, AKH Wien, Leiter der Ambulanz für Wirbelsäulenstörungen und Dekonditionierungssyndrome, AKH Wien) führt aus, welche Fakten und Befunde er als Facharzt benötigt, um eine Indikation für Massage und/oder Bewegungstherapie zu stellen. Das ist ein sehr differenziertes Vorgehen, da Nackenschmerz oder Schulterschmerz keine Diagnose ist, sondern ein Symptom, das den*die Patient*in stört.

Auf Basis vieler Befunde, auch unter Einschätzung der Persönlichkeit des*der Patient*in, entwickelt er ein Konzept und gibt klare Zielvorstellungen für die erforderliche Massage: Nicht in erster Linie den Schmerz zu behandeln, sondern um beispielsweise einen hypertonen Muskel zu reduzieren, Unterhautgewebe oder Faszien zu lockern oder den Blutfluss zu vermehren. Massage ist hier eine wesentliche physikalisch-medizinische Intervention.

Für einige Indikationen, so Dr. Ebenbichler gibt es eindeutig positive Wirkungsnachweise für Massage. Evidenz ist aber immer nur ein, wenngleich wichtiger Faktor. Dazu kommen noch andere Faktoren, wie z.B. Vorerfahrungen der PatientIn und die Erfahrung des*der Therapeut*in.

Bewegungstherapie wie auch Massage stellen starke interpersonelle Beziehungen her und die dahinterstehenden Mechanismen, die unter dem Begriff des Placebo-Effekts beschrieben werden,  wirken auf Wohlbefinden, Entspannung und Muskulatur einfach dadurch, dass eine Kontaktperson da ist. Zuwendungseffekte und Erwartungen wirken als Kontextfaktoren quasi neurohumoral und können zu einer Verbesserung des Schmerzsyndroms beitragen.

Eine große, randomisierte und kontrollierte Studie zur Nachbehandlung bei Bandscheibenoperationen zeigte keine Unterschiede zwischen einer physiotherapiebegleiteten Nachbehandlung und einer Massage-Intervention, wohl aber unterschieden sich beide zu einer Kontrollgruppe ohne therapeutische Interventionen.

Herr Dr. Ebenbichler ist verwundert über die Vereinbarung mit der Salzburger Ärztekammer, weil die unterschiedlichen Phasen außer Acht gelassen werden, in denen sich eine SchmerzpatientIn befindet. Seines Wissens gibt es heute in fast allen Leitlinien die Empfehlung in den akuten Phasen keine Bewegungstherapie durchzuführen, den*die Patient*in aber sehr wohl zu Bewegung zu motivieren.

In dem Moment, wo ein*eine Ärzt*in Physiotherapie auf die Verordnung schreibt und keine Ziele vorgibt, ist der*die Physiotherapeut*in voll handlungsfähig in allen Bereichen, die Verantwortung allerdings liegt weiterhin in der Hand des*der Ärzt*in. Passiert etwas, weil etwas übersehen oder eine nicht optimale Technik eingesetzt wurde, dann ist der*die Ärzt*in haftbar, denn Verordnungen sind Anordnungen und keine Überweisungen.

Massage und Aktivtherapie sind wichtige Interventionen in der Behandlung von Patient*innen mit Beschwerden im Bewegungsapparat, und es ist großes Problem, wenn man zwingend Massage und Bewegungstherapie nur gemeinsam verordnen kann. Beide Methoden gehören zum ärztlichen Repertoire und sollen entkoppelt verordnet werden können. Sein Wunsch ist, dass sich in Zukunft alle Beteiligten besser darüber verständigen, unter welchen Umständen eine Massage allein Sinn macht.

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