Newsletter 2 der Grünen Masseur*innen
Liebe/r …
willkommen bei der 2. Ausgabe des Newsletters der Grünen Masseur*innen!
(15. Dezember 2018)
Information, vor allem rasche und vollständige Information, ist uns wichtig, auf unserer Website ebenso wie hier im Newsletter. Dafür stehen wir.
Denn Information ist die Grundlage für effektives Handeln. Das gilt sowohl für uns als Vertreter*innen in der Innung, als auch für alle beruflich Tätigen.
Es ist deshalb unser Anliegen, Euch (die Leser*innen des Newsletter, die Besucher*innen der Website) über Entwicklungen und Hintergründe zu informieren. Und unmittelbar darüber zu informieren, welche Ziele und Zielsetzungen wir in bestimmten Themenbereichen verfolgen, was wir für unsere Berufsgruppe erreichen wollen. Wofür wir uns einsetzen.
Eure Anregungen und Kommentare, die Information über Eure Anliegen und Sichtweisen benötigen wir dafür. Feedback, Diskussion und (sachliche) Kritik sind uns deshalb sehr willkommen. Im Blog auf der Website freuen wir uns auf Kommentare … oder einfach ein Mail an eduard.tripp@gmail.com schicken.
Darüber hinaus nutzen wir den Newsletter, um komplexe Themen in ihrem größeren Zusammenhang darzustellen (aktuell der Umgang mit dem Paragraph 19, individuelle Befähigung) und damit – das wäre unser Wunsch – Diskussion und Nachdenken, hoffentlich sogar aktives Handeln anzuregen.
Die bisher schon erschienen Newsletter könnten im Newsletter-Archiv nachgelesen werden:
- Die Novelle zum Ärztegesetz ist vom Tisch
- Mündige Patient*innen?
- Grundsatzfrage zur Ärztegesetz-Novelle: Wie sehr darf und soll der Staat in die Gesundheit eingreifen?
- Die Frage der Evidenz
- Der Umgang mit Paragraph 19 (Fortsetzung der Überlegungen von Newsletter 1)
~ Die Novelle zum Ärztegesetz ist vom Tisch
Am 21. November wurde im Ministerrat die Ärztenovelle beschlossen und am 4. Dezember im Gesundheitsausschuss verabschiedet. Der Passus „einschließlich komplementär- und alternativmedizinischer Heilverfahren“ wurde herausgenommen. Dennoch wirft die geplante Änderung Fragen auf.
Das Ärztegesetz, folgt das Parlament dem Beschluss des Ministerrats vom 21. November, wird nun ohne die problematische Erweiterung in § 2 Abs. 2 „einschließlich komplementär- und alternativmedizinischer Heilverfahren“ beschlossen (https://www.bundeskanzleramt.gv.at/documents/131008/1094927/36_33_gesetz.pdf/f973ea76-3be5-41e3-9f1c-ebab0676c86d).
Kritik an diesem Passus kam von vielen Seiten, so – ganz wesentlich – von der Wirtschaftskammer und nicht zuletzt auch aus der Ärzteschaft selbst und sogar vom Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger, dessen Stellungnahme erst sehr spät veröffentlicht wurde (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/SNME/SNME_03310/imfname_720668.pdf):
„Das erweckt den Eindruck, dass komplementär- und alternativmedizinische Heilverfahren zu den ‚auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen‘ begründeten Tätigkeiten gehören.
Das Gegenteil ist der Fall!
Die Begriffe komplementär- und alternativmedizinische Heilverfahren sind nicht definiert. Die Wirkung von komplementär- und alternativmedizInischen Heilverfahren ist bis dato unzureichend nachgewiesen. Daraus leitet sich ja die Bezeichnung ‚alternativ-…‘ ab.
Hat ein Verfahren keinen wissenschaftlichen Zugang, darf es nicht in die ärztliche Berufsumschreibung fallen. Die Argumentation, je unwissenschaftlicher eine Tätigkeit wäre, desto eher sei sie zum Schutz der Bevölkerung dem Arzt vorzubehalten, kann nicht nachvollzogen werden.
Gerade Patienten in besonders vulnerablen Situationen müssen sich sicher sein können, dass ihr Arzt nach wissenschaftlich fundierten Methoden vorgeht. Der Schutz der Bevölkerung vor Täuschung und Kurpfuscherei als wichtiges Ziel muss aber durch tauglichere, rechtliche Instrumente erreicht werden.
Die Patienten haben das Recht auf einen wissenschaftlichen Zugang durch den Arzt – daher ist die Ergänzung „einschließlich komplementär- und alternativmedizinischer Heilverfahren“ obsolet.
Das Motiv, eine Lücke im Strafbarkeitsrahmen zu schließen, wird anerkannt. Irrationale, unprofessionelle „heilkundliche“ Angebote, die gesundheitsgefährdend sein können, müssen sanktionierbar sein.
Das darf jedoch nicht über eine irreführende Ergänzung des Grundtatbestandes medizinischer Tätigkeit erfolgen. Diese Vermengung von Begrifflichkeiten führt auch zu Fragen, wie der Leistungsumfang der Sozialversicherung klar abgegrenzt bleibt.
Durch die Anführung dieser Verfahren im ÄrzteG könnte der Eindruck entstehen, dass derartige Heilverfahren auch in den Leistungsumfang der Krankenversicherung fallen.
Bisher werden derartige Heilverfahren nur dann von der Krankenversicherung übernommen, wenn es (bei erkennbaren Chancen auf Erfolg) entweder keine entsprechenden schulmedizinischen Therapiemöglichkeiten gibt, diese nicht den gewünschten Erfolg erbracht haben, aussichtslos sind oder im Vergleich mit den alternativen Verfahren mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sind.“
~ Mündige Patient*innen?
Rund um die Frage zur Novelle des Ärztegesetzes gab es einige emotional geführte Diskussionen zu Fragen von Heilung, Kompetenzen und Verantwortung. Sie zeigten die von manchen Ärzten vertretene Sichtweise, dass PatientInnen in Gesundheits/Krankheitsfragen grundsätzlich unmündig wären. Und damit können sie keine Entscheidungen treffen, die ihre Behandlung betreffen. Das könne nur der Arzt. Die PatientIn wird nicht als PartnerIn in einem individuellen Behandlungsweg verstanden.
In der Diskussion „Pro & Contra“ von Puls 4 ging es am 21. November (https://www.puls4.com/pro-und-contra/videos/ganze-folgen/Ganze-Folgen/Sollen-nur-Aerzte-heilen-duerfen) um die Frage „Sollen nur Ärzte heilen dürfen?“. Im Zuge dieser Diskussion formulierte Frau Dr. Schöpf (Ärztekammer Tirol), nicht unwidersprochen von ihrem ärztlichen Kollegen Dr. Mitter (Kinderarzt, Ganzheitsmediziner, Homöopath), dass ein Patient in seiner Erkrankung eingeschränkt ist und deshalb für Diagnose und Therapie den Arzt benötigt. Und weiter:
„Patienten gehören in ärztliche und Arzt-nahe Berufe, für die wir weisungsberechtigt sind. Und das ist es. Alles andere kann sich natürlich ein Patient aussuchen. Ich hab schon mal gesagt: Wenn er auf Wellness gehen möchte und er hat nicht gerade einen Herzinfarkt gehabt hat oder er möchte in ein Ayurveda-Ressort, weil er es sich leisten kann, für drei Wochen nach Sri Lanka fahren oder er möchte nach Lourdes pilgern, um seine spirituelle Heilung zu suchen, ja natürlich, das kann er alles machen. Aber es ist keine Berufsgruppe notwendig, die Patienten dann noch anders betreut.“
Zu Hilfe kam der Ärztekammer-Vertreterin an dieser Stelle der Diskussion Florian Aigner (Physiker und Kritiker von Alternativmedizin), der dieses Sicht mit einen Flugzeug-Vergleich verstärkte:
„Wenn ich in eine Flugzeug steige, dann möchte ich doch bitte, dass jemand, der sich auskennt mit Flugzeugen, entschieden hat, ob mit diesem Flugzeug alles in Ordnung ist. Dann möchte ich, dass ein Techniker, der viel mehr weiß über Flugzeuge als ich, sich das angeschaut hat…“1Florian Aigner: „Wenn ich in eine Flugzeug steige, dann möchte ich doch bitte, dass jemand, der sich auskennt mit Flugzeugen, entschieden hat, ob mit diesem Flugzeug alles in Ordnung ist. Dann möchte ich, dass ein Techniker, der viel mehr weiß über Flugzeuge als ich, sich das angeschaut hat. Jetzt könnte man natürlich sagen: Es könnte jeder selber entscheiden, in welches Flugzeug er steigt. Und eine Firma, die die Flugzeuge nicht wartet, die wird eh in Konkurs gehen. […] Sie können natürlich sagen, es gibt viele Theorien, wie man ein Flugzeug zum Fliegen bringen kann und suchen Sie sich aus. Das sind lauter Flugzeuge. Beim einen haben wir die Turbinen gecheckt, das andere steht schon seit dreißig Jahren. Suchen Sie sich aus, ganz frei. Sie können auspendeln, welches Flugzeug für Sie am besten ist. […] Das ist doch Blödsinn„.
Die PatientIn wird in diesen Wortmeldungen – stellvertretend für die Ärztekammer oder zumindest Teile der Ärztekammer? – als unverständig und unmündig betrachtet.2In ihrer Stellungnahme hat Frau Dr. Schöpf nicht etwa unterschieden zwischen Notfallsituationen, in denen der Arzt – vorbehaltlich einer Patientenverfügung – die Verantwortung und Entscheidung von unter Umständen lebensentscheidenden Maßnahmen trifft und wohl oft sinnvollerweise treffen muss, und Situationen, in denen der Patient nicht nur Objekt ist, sondern interagierender und auf gewisse Weise gleichwertiger Partner in einem Behandlungsprozess. Sie betont vielmehr explizit, dass ihr diese Unterscheidung grundsätzlich wichtig ist: „ich meine das absolut ernst“ (auf Reinhard Mitters Frage: „Das meinen Sie jetzt nicht ernst?„). Die Verantwortung wird in diesem Verständnis ausschließlich vom Arzt getragen, so wie der Techniker die Verantwortung für die Sicherheit eines Flugzeugs trägt. Und welcher Techniker fragt schon ein Flugzeug, welche Behandlung es haben möchte?
Ist das die Zukunft, die der Ärztekammer (und dem Gesundheitsministerium?) für den Gesundheitsbereich und alle PatientInnen vorschwebt: eine Zukunft, die an die Deutungshoheit des Klerus im Mittelalters anknüpft?
Der Arzt ist in diesem Verständnis in einer unangefochtenen Position – ähnlich wie ein kirchlicher Vertreter im Mittelalter. Der Patient im Verständnis der Ärztekammer-Vertreterin wird hier als ebenso unmündig gesehen wie der unbedarfte Gläubige des Mittelalters, der auf die Auslegung des Priesters angewiesen ist.
Und der Patient wird damit, alles andere als ein mündiger Mensch, mit einem Flugzeug verglichen, der auf seine „Flugtauglichkeit“ und sein „Service“ auf den Arzt angewiesen ist. Selbstverständlich kann ein Flugzeug nicht entscheiden, welche Therapie für es gut ist. Wie sollte es das auch. Aber: Ist das wirklich das Verständnis der modernen Medizin (bzw. ihrer, möglicherweise vor allem ihrer beruflichen Vertreter) von den Menschen, die sie behandeln? … mehr dazu
~ Grundsatzfrage zur Ärztegesetz-Novelle: Wie sehr darf und soll der Staat in die Gesundheit eingreifen?
Die Frage nach der Wahl der „richtigen“ Therapie berührt die grundsätzliche Frage, auf Basis welcher Werte und Ziele die Beurteilung von „richtig“ und „falsch“ (und damit „bezahlt“ und „nicht bezahlt“ oder „verpflichtend“, „freiwillig“ und „verboten“) vorgenommen wird. Wer entscheidet, was als Krankheit und was als mögliche Lebensweise gesehen wird?
Ist beispielsweise unfreiwillige Kinderlosigkeit eine Erkrankung und damit von der Krankenkasse zu bezahlen? Oder handelt es sich dabei um ein persönliches und möglicherweise auch soziales Schicksal? Wer entscheidet über solche Fragen und wie? Das alles auch eingedenk des Umstandes, dass Homosexualität bis vor nicht allzu langer Zeit als Krankheit und heute (zumindest den meisten Menschen und der Medizin) als Lebensweg gilt.
Ein Großteil der Gesundheitspolitik, so Katharina T. Paul (Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien im Bereich Politikfeldanalyse und qualitative Methoden) und Ingrid Metzler (Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien), spielt sich außerhalb von öffentlichen Kontroversen, Schlagzeilen und Internetforen ab. Die AkteurInnen, die Werte und Strukturen derer, die die medizinischen Leistungen im öffentlichen Gesundheitssystem ermöglichen und aufrechterhalten, sind für die Öffentlichkeit meist unsichtbar.
Anders beispielsweise in Großbritannien, den Niederlanden, in skandinavischen Ländern und teilweise auch innerhalb der EU: Hier gibt es in den letzten Jahren neuerdings Bemühungen um Transparenz. Das Ziel, Entscheidungsprozesse für die Bevölkerung nachvollziehbar zu machen, ist darum mit dem Streben nach „evidenzbasierter“ Medizin und Politik verbunden. Das bedeutet: Entscheidungen sollen auf der Basis von wissenschaftlichen Belegen („Evidenz“) getroffen werden.
In Österreich finden gesundheitspolitische Beratungen und Entscheidungen allerdings nach wie vor größtenteils hinter verschlossenen Türen statt, zum Teil deshalb weil Gesundheitspolitik immer auch Budgetpolitik ist. Sie ist aber, wie die Autorinnen weiter ausführen, nicht nur Budgetpolitik, sondern auch „Datenpolitik“ und betrifft beispielsweise auch die Erfassung von Daten zur öffentlichen Gesundheit… mehr dazu
~Die Frage der Evidenz
Studien sind in den letzten Jahren immer wichtiger geworden in der Diskussion um die Wirksamkeit von Methoden und Behandlungen. Mehr und mehr geht es in Entscheidungen um die Frage nach der Evidenz, dem wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis.
Beispielhaft kann dazu die Anfang 2017 in Kraft getretene Änderung des Positionsmodells der Salzburger Gebietskrankenkasse angeführt werden (siehe Verlieren Heilmasseur*innen ihre wirtschaftliche Basis?), mit dem Heilmassagen bei HeilmasseurInnen nicht mehr bezahlt werden und grundsätzlich der Aktivtherapie der Vorzug gegeben wird. Begründet wird diese Änderung vor allem mit der Überblicksstudie des Hauptverbandes „Wirksamkeit von Massage – allein oder in Kombination mit Bewegungstherapie“ (siehe Studien).
Ob die Datenlage der Studie die Wirksamkeit der Massage wirklich in einem Maße in Zweifel zieht, dass der Schritt der SGKK gerechtfertigt ist oder nicht, soll an dieser Stelle nicht explizit erörtert werden, eine hochkarätige Diskussion dazu fand am 24. Jänner 2018 statt.
Hier soll mit diesem Beispiel nur das Augenmerk darauf gelenkt werden, dass Studienergebnisse mehr und mehr den Ausschlag in gesundheitspolitischen Fragen geben.
So beruft sich auch der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger kürzlich in seinem Antwortschreiben an den Berufsverband der Heilmasseur*innen und medizinischen Masseur*innen Österreichs auf die Überprüfung der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz,
„ob Massage als Krankenbehandlung bevorzugt alleine oder in Kombination mit Bewegungstherapie angeboten werden soll. Als Ergebnis wurde festgestellt, dass vor allem für einen langfristigen Therapieerfolg bei Rückenschmerzen. chronischen Spannungskopfschmerzen und chronischen unspezifischen Schmerzen die Kombination mit Bewegungstherapie bessere Ergebnisse erzielt und daher empfohlen wird.“
Hinzugefügt wird dann noch:
„Die soziale Krankenversicherung kann nur evidenzbasierte Leistungen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Behandlungsökonomie erbringen. Wir werden daher weiterhin die optimalen Behandlungsmethoden prüfen und bei entsprechend nachgewiesenem Nutzen für die Versicherten auch entsprechende vertragliche Regelungen mit allen Gesundheitsberufen vorsehen.“3siehe Schreiben des Hauptverbandes
Um hier mehr Verständnis zu schaffen und Wissen zugänglich zu machen, werden seit einiger Zeit (nach und nach) Studien auf der Website zusammengefasst und – hoffentlich – verständlich aufbereitet.
Aktuell, seit dem letzten Newsletter, sind fünf Studien dazugekommen (insgesamt sind es nun schon über 25 veröffentlichte Arbeiten im Bereich Massage):
- Klein, Joan et al.: Acupressure for nausea and vomiting in cancer patients receiving chemotherapy.
- Naeimi Rad Mojgan et al.: A Randomized Clinical Trial of the Efficacy of KID21 Point (Youmen) Acupressure on Nausea and Vomiting of Pregnancy
- Schrievers, Joachim et al.: Shiatsu als Weg in die Achtsamkeitspraxis.
- Cabo, Fernando et al.: Shiatsu and Acupressure: Two Different and Distinct Technique.
- Juntakarn, Chantip et al.: The Effectiveness of Thai Massage and Joint Mobilization.
~ Der Umgang mit Paragraph 19
(Fortsetzung der Überlegungen vom Newsletter 1)
Massagetätigkeiten können unserem Verständnis nach zumindest fünf Kategorien zugeordnet werden. Welche praktische Bedeutung hat das und wie sollen diese Zuordnungen erstellt und kommuniziert werden?
Die fünf schon erwähnten Kategorien sind:
- „Bestehende Massagetätigkeiten“, d.h. Teiltätigkeiten, wie sie in der Massageverordnung bislang festgehalten sind, z.B. Lymphdrainage.
- „Variationen bestehender Massagetätigkeiten“, d.h. Teiltätigkeiten, die mehr oder weniger Variationen einer in der Massageverordnung bislang festgehaltenen Teiltätigkeit entsprechen und nur in kleinen Aspekten von dieser abweichen.
- „Neue Massagetätigkeiten“, d.h. Massagetechniken, die andere Ansätze verfolgen und in Zielsetzung und Techniken keinem der bestehenden Teilgewerbe hinlänglich zuzuordnen sind, z.B. Strukturelle Integration/Rolfing.
- „Zusatztechniken“, d.h. Massagetechniken, die sich nicht für sich alleine als Massagetechnik betrachten lassen, vielmehr einer Basis, d.h. einer vorhandenen Massagekenntnis/berechtigung, bedürfen, z.B. Liebscher & Bracht.
- „Techniken, die nur zu einem Teil in die Massage fallen“, d.h. Methoden, die beispielsweise einen (körper)psychotherapeutischen Ansatz verfolgen. Der Massageaspekt ist hier nur sekundär.
Kritische Fragen und Entscheidungen betreffen kaum die erste Kategorie der „bestehenden Massagetechniken“. Schwieriger ist es bei den anderen Gruppen. Wie unterscheidet man beispielsweise „Variationen bestehender Massagetätigkeiten“ und „neue Massagetechniken“ (Massagetechniken, die andere Ansätze verfolgen als die in der Massage-Verordnung festgehaltenen Teiltätigkeiten)?
Strukturelle Integration als Beispiel
Methoden der Strukturellen Integration, wie Rolfing oder Posturale Integration, unterscheiden sich (auch aus eigener Kenntnis) deutlich von klassischer Massage und anderen in der Massageverordnung angeführten Methoden. Ida Rolf, die Begründerin dieses Ansatzes, ging davon aus, dass die Schwerkraft als organisierendes Element auf einzigartige Weise bedeutsam ist. Bedeutsam für die Körperstruktur, die Bewegungskoordination, die räumliche Wahrnehmung und die Ausdrucksfähigkeit des Menschen. Auf Basis ihrer Forschung entwickelte sie ihre Behandlungsmethode völlig unabhängig von anderen Massagetechniken. Der von ihr entwickelte Zugang, später auch als Rolfing bezeichnet, zeigt dabei kaum Ähnlichkeiten bzw. Überschneidungen zu den in der Massageverordnung angeführten Massagetechniken (inklusive den ganzheitlich in sich geschlossenen Systemen): weder im theoretischen Hintergrund noch in der Herangehensweise oder in den Grifftechniken, insbesondere wenn man Zielsetzung, und Intention einbezieht. (https://www.oda-kt.ch/fileadmin/user_upload/pdf/D/METID/Strukturelle_Integration_-_Finale_Metid_d_ida.pdf).
Posturale Integration, ein weiterer Vertreter struktureller Integration, beruht auf der von Rolfing begründeten Methode. Jack Painter, der Begründer dieser Methode, integrierte in den Ansatz von Ida Rolf weitere Elemente wie Atemarbeit, Gestalttherapie, Methoden aus der Körperpsychotherapie nach Wilhelm Reich und fernöstliche Methoden wie Akupressur.
Posturale Integration berücksichtigt psychische Prozesse stärker als der Ansatz von Ida Rolf. In den 1990er-Jahren entwickelte sich daraus die Psychotherapeutic Postural Integration, ein mittlerweile anerkanntes Verfahren der European Association for Body Psychotherapy (http://icpit.org/psychotherapeutic-postural-integration).
Wie sind diese Methoden einzuordnen? Sicherlich nicht einfach unter Klassischer Massage oder einer anderen in der Massageverordnung gelisteten Methode.
Wie kann eine Beurteilung und Klassifizierung (bestmöglich) erstellt werden?
Ausgangspunkt einer jeglichen Beurteilung sollte die objektive Erfassung der Methode sein, d.h. ihrer Ausbildungsinhalte, des Umfangs der Ausbildung, die Hintergründe und all das, was sie ausmacht inklusive Ausbildungskontrolle, Fortbildung und ähnliches mehr. Es geht also um eine qualitative wie auch quantitative Erfassung.
Und immer sollte die Erfassung einer Methode (sofern möglich) in Kooperation mit Vertreter*innen des betreffenden Dachverbandes (ansonsten Ausbildungsinstituts oder tätigen Praktiker*innen dieser Methode) erfolgen, um auch die Innensicht der Anwendung berücksichtigen zu können.
Methodenbewertungen in der Schweiz
Vergleichbare und beispielhafte Methodenbewertungen finden sich in der Schweiz im Bereich der Komplementärtherapie (https://www.oda-kt.ch/methoden-der-komplementaertherapie).
Hier ist, um das obige Beispiel weiterzuverfolgen, Strukturelle Integration als Methode der Komplementärtherapie beschrieben (https://www.oda-kt.ch/fileadmin/user_upload/pdf/D/METID/Strukturelle_Integration_-_Finale_Metid_d_ida.pdf).
Dieser Darstellung folgend werden bei Struktureller Integration drei wesentliche Aspekte des menschlichen Körpers kombiniert:
„Strukturelle Arbeit (Manuelle Arbeit an der Struktur des Körpers, in erster Linie an den Bindegewebsstrukturen, am sogenannten Fasziennetz des Körpers), Funktionelle Arbeit (Arbeit mit der Funktion des Körpers durch interaktive Bewegungsschulung) und Psychobiologische Arbeit (Arbeit mit dem „psychobiologischen“ Aspekt des Körpers, indem durch Wahrnehmungsschulung die im Körper der Klientin/des Klienten widergespiegelten seelischen, geistigen und sozialen Themen im Verlauf des Therapieprozesses aktiv eingebunden werden.“
Die ursprüngliche Basis dieser Methodendarstellung bildet das Erfahrungs-Medizinische Register (EMR, http://www.emr.ch), das seit 1999 in Zusammenarbeit mit Berufsverbänden, Schulen, Versicherern und anderen Institutionen „erfahrungsmedizinische Methoden“ erfasst. Diese Ergebnisse werden dann auch – in einer vereinfachten Darstellung – öffentlich präsentiert, so dass KonsumentInnen sich ein Bild über die jeweilige Methode machen können.
Entsprechend findet sich hier eine an die breite Öffentlichkeit gerichtete Darstellung von Struktureller Integration als
„eine Form der Körperarbeit, bei der mit Hilfe von speziellen manuellen Techniken das Bindegewebe des Körpers behandelt wird. Die manuelle Behandlung wird mit Bewegungsschulung kombiniert. Durch die Rolfing-Behandlung wird der ganze Körper neu ausgerichtet und balanciert, Fehlhaltungen werden grundlegend beeinflusst und korrigiert. Die Methode hiess ursprünglich Strukturelle Integration, wurde dann aber in Anlehnung an die Begründerin „Rolfing“ genannt“ (http://www.emr.ch/emr-public/methode.las?c=0166).
Was zeichnet diese Bewertungen/Darstellungen aus?
Wesentlich an diesen Darstellungen ist ihre objektive Erfassung und Darstellung, die für Fachleute (https://www.oda-kt.ch/fileadmin/user_upload/pdf/D/METID/Strukturelle_Integration_-_Finale_Metid_d_ida.pdf) wie auch für die Öffentlichkeit (http://www.emr.ch/emr-public/methode.las?c=0166) informativ und richtungsgebend ist. Aufgelistet sind auch jene Versicherer, die diese Methoden vergüten, und Behandler*innen, die nach diesen Methoden arbeiten (und regelmäßig überprüft werden).
Ähnliches könnte hier in Österreich auch für die Massagetechniken etabliert werden.
… wird fortgesetzt
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Anmerkungen/Fußnoten
- 1Florian Aigner: „Wenn ich in eine Flugzeug steige, dann möchte ich doch bitte, dass jemand, der sich auskennt mit Flugzeugen, entschieden hat, ob mit diesem Flugzeug alles in Ordnung ist. Dann möchte ich, dass ein Techniker, der viel mehr weiß über Flugzeuge als ich, sich das angeschaut hat. Jetzt könnte man natürlich sagen: Es könnte jeder selber entscheiden, in welches Flugzeug er steigt. Und eine Firma, die die Flugzeuge nicht wartet, die wird eh in Konkurs gehen. […] Sie können natürlich sagen, es gibt viele Theorien, wie man ein Flugzeug zum Fliegen bringen kann und suchen Sie sich aus. Das sind lauter Flugzeuge. Beim einen haben wir die Turbinen gecheckt, das andere steht schon seit dreißig Jahren. Suchen Sie sich aus, ganz frei. Sie können auspendeln, welches Flugzeug für Sie am besten ist. […] Das ist doch Blödsinn„.
- 2In ihrer Stellungnahme hat Frau Dr. Schöpf nicht etwa unterschieden zwischen Notfallsituationen, in denen der Arzt – vorbehaltlich einer Patientenverfügung – die Verantwortung und Entscheidung von unter Umständen lebensentscheidenden Maßnahmen trifft und wohl oft sinnvollerweise treffen muss, und Situationen, in denen der Patient nicht nur Objekt ist, sondern interagierender und auf gewisse Weise gleichwertiger Partner in einem Behandlungsprozess. Sie betont vielmehr explizit, dass ihr diese Unterscheidung grundsätzlich wichtig ist: „ich meine das absolut ernst“ (auf Reinhard Mitters Frage: „Das meinen Sie jetzt nicht ernst?„).
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