Wie gefährlich ist Shiatsu? Wissenschaft und Polemik (Dr. Eduard Tripp)

Vorlesung

Die Nebenwirkungen von Shiatsu im Spiegel des Beitrags von Edzard Ernst

Was denn nun aber mit den Risiken des Shiatsu sei? Zur Beantwortung dieser Frage zieht Edazrd Ernst, weil es noch schwieriger ist, Informationen darüber zu finden als über die Wirksamkeit von Shiatsu, die Website von verywellhealth und die dort angeführten Warnungen zu Rate.

„Safety and Side Effects

While shiatsu is generally considered safe when done by a qualified professional, certain individuals should take caution and consult a physician before receiving shiatsu. For example, there’s some concern that shiatsu may have harmful effects in pregnant women, patients who have recently undergone chemotherapy or radiation, and people with such conditions as osteoporosis, heart disease, and blood clotting disorders.

Additionally, shiatsu should not be performed directly over bruises, inflamed skin, unhealed wounds, tumors, abdominal hernia, or areas of recent fractures. People with leg stents should avoid abdominal massage.

Shiatsu should also be avoided immediately after surgery, and by people with infectious skin disease, rash, or open wounds.“1Cathy Wong: What You Can Expect From a Shiatsu Massage. Can Shiatsu Soothe Pain? https://www.verywellhealth.com/shiatsu-what-should-i-know-about-it-89743. Zugriff: 28.6.2019. 

Und wie es um Nebenwirkungen („adverse reactions“) und Komplikationen bei Shiatsu bestellt sei? Hier bezieht sich Edzard Ernst auf shiatsu-london.net („Professional Shiatsu School“)2http://shiatsu-london.net/contraindications.html. und zitiert, dass Shiatsu, wenn es sachgemäß ausgeführt wird, nicht zu Nebenwirkkungen führt. Einzelne Behandelte können zwar leichtes Unbehagen verspüren, das aber endet meist noch während der Behandlung („when performed properly, shiatsu is not associated with any significant side effects. Some people may experience mild discomfort, which usually disappears during the course of the treatment session“).3Long AF, Esmonde L, Connolly S: A typology of negative responses: a case study of shiatsu. Complement Ther Med. 2009 Jun;17(3):168-75. Doi: 10.1016/j.ctim.2008.09.004. Epub 2008 Nov 17. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19398071. Siehe auch die deutsche Zusammenfassung der Studie unter /index.php/info-pool/studien/472-long-andrew-et-al-a-typology-of-negative-responses-a-case-study-of-shiatsu. Zugriff: 28.6.2019.

Ob Shiatsu ohne Nebeneffekte sei, ist allerdings, so Edzard Ernst, leider mit Nein zu beantworten. Dazu aber müsse man tiefer graben, um überhaupt eine vorläufige Antwort zu bekommen… und er bezieht sich dann auf die 2009 erschienene Arbeit von A.F. Long et al. (A typology of negative responses: a case study of shiatsu4Long AF, Esmonde L, Connolly S: A typology of negative responses: a case study of shiatsu. Complement Ther Med. 2009 Jun;17(3):168-75. Doi: 10.1016/j.ctim.2008.09.004. Epub 2008 Nov 17. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19398071. Siehe auch die deutsche Zusammenfassung der Studie unter /index.php/info-pool/studien/472-long-andrew-et-al-a-typology-of-negative-responses-a-case-study-of-shiatsu. Zugriff: 28.6.2019.) zur Bewertung „negativer“ Reaktionen.

Die Grundlage dieser Arbeit bildet eine prospektive, sechs Monate dauernde Kohortensudie, die in drei Ländern (Österreich, Spanien und Großbritannien) mit einer Antwortrate von 67 % durchgeführt wurde. Hier zeigt sich in den Antworten der TeilnehmerInnen, so führt Edzard Ernst weiter aus, eine Prävalenzrate von 12 bis 22 % (in den drei Ländern) für „negative“ Reaktionen.

Das bedeutet, dass es in 12 bis 22 % aller Behandlungen zu „negativen“ Reaktionen kam. Das klingt viel, ist aber zu relativieren, da bestimmte „negative“ Reaktionen (z.B. Kältegefühl, Müdigkeit, Muskelschmerzen wie „Muskelkater“ …) als Begleiterscheinungen von Regeneration und Heilung (und in dem Sinne nicht als „negativ“) betrachtet werden.

82 % dieser „negativen Reaktionen“, so führt Edzard Ernst weiter aus, waren vorübergehende „negative Effekte“ und insgesamt neun Versuchspersonen (1,4 %) beschrieben „ein potenziell negatives Ereignis oder eine negative Auswirkung“, das ein Risiko für die KlientInnensicherheit darstellen könnte.

Die von Edzard Ernst erwähnten 82 % aller „negativen“ Reaktionen werden von A.F. Long et al.5Ebd. als vorübergehende Effekte („transitional effects“) vom Typ 2 und 3 klassifiziert. Sie sind theoriekonform (damit keine unerwünschten Nebenwirkungen, vielmehr „erwartet“, „normale Reaktionen“) und verändern sich von ursprünglich „negativ“ erlebt zu „positiv“. Sie belasten die KlientIn nicht, dauern nur kurz und hindern sie auch nicht an ihren normalen Aktivitäten.6Der Vollständigkeit halber: Typ 1-Antworten stehen in keinem Zusammenhang mit der Behandlung („unconnected responses“, z.B. der Ausbruch einer Grippe). Typ 4-Antworten sind unerwünschte aber ungefährliche Ereignisse oder Auswirkungen („undesired, but not unsafe events or effects“): die von die Kundin als negativ dargestellt werden, sie beunruhigen und ihre Aktivitäten beeinträchtigen (z.B. „Gefühl der Depression“ zwei Tage lang nach der Behandlung).

Der Unterschied zwischen Typ 2- und Typ 3-Reaktionen liegt darin, dass KlientInnen die Typ 2-Reaktionen ursprünglich als „negativ“ erleben, im Laufe der nächsten Tage aber als positiv (z.B. Müdigkeit nach der Behandlung, so dass der/die Behandelte kurz ruhen muss, und sich danach deutlich besser fühlt). Im Ggensatz dazu verändern sich Typ 3-Reaktionen zwar ebenfalls von „negativ“ zu „positiv“, werden von der KlientIn aber nicht explizit in dieser Form wahrgenommen (z.B. größere Erschöpfung am Tag der Behandlung).

Die erhobenen Antworten vom Typ 5 (jene „potenziell negative Ereignisse oder Auswirkungen“, über die Edzard Ernst berichtet) hingegen erfassen Effekte und Reaktionen, die die TeilnehmerInnen in ihrem Alltag einschränken und beunruhigen, wie Schmerzen im Bereich von Rücken, Knie (nach Dehnungsübung) und Nacken, starke emotionale Reaktion oder auch Verbrennungen (nach einer Moxa-Behandlung).

Zur Bewertung der Typ 5-Antworten orientieren sich A.F. Long et al. an der Arbeit von H. Yamashita (Adverse events in acupuncture and moxibustion treatment: a six-year survey at a national clinic in Japan, 19997Yamashita H, Tsukayama H, Tanno Y, Nishijo K.: Adverse events in acupuncture and moxibustion treatment: a six-year survey at a national clinic in Japan. J Alternative Complement Med 1999;5:229-36.), wobei zunächst unterschieden wird, ob Fahrlässigkeit der AnwenderIn vorliegt (z.B. Nichtdurchführung oder falsche Durchführung eines erforderlichen Verfahrens, wie in obiger Aufzählung die Verbrennungen nach einer Moxa-Behandlung) oder nicht. Die nicht-fahrlässig herbeigeführten Ereignisse wiederum werden dann in „eindeutig“ („definite“), „wahrscheinlich“ („probable“), „möglich“ („possible“) oder „zweifelhaft“ („doubtful“) unterschieden. Beurteilungskriterien dazu sind die Zeit des Auftretens nach der Behandlung und ein erneutes Wiederauftreten bei einer weiteren Behandlung.8So tritt ein „eindeutig“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit auf und auch bei jeder weiteren Behandlung, ein „wahrscheinlich“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit und gelegentlich bei weiteren Behandlungen, ein „möglich“ unerwünschtes Ereignis tritt nach einer angemessenen Zeit und nicht wieder auf und ein „zweifelhaftes“ unerwünschtes Ereignis zu einem späteren Zeitpunkt und dann nicht mehr.

Wendet man diese Definition auf die Typ 5-Antworten an, dann erweisen sich die wiederholt auftretenden Rückenschmerzen („back pain, many times“) als definitiv unerwünschtes, aber nicht fahrlässiges Ereignis (und „unerwünschter Effekt“): Die Schmerzen traten in einem zeitlich angemessenen Zusammenhang auf und wiederholten sich bei erneuten Shiatsu-Behandlungen.

Im Gegensatz dazu würden Beschwerden, die nach der ersten Behandlung stärker wurden („complaints got stronger after the first treatment (spine)“), als „mögliches“ unerwünschtes Ereignis (aber nicht als „möglicher“ unerwünschter Effekt) eingestuft. Beschwerden, die auch bei der erneuten Anwendung stärker werden („complaints got stronger“), wären ein „wahrscheinlich“ unerwünschtes Ereignis (oder „wahrscheinlich“ unerwünschter Effekt).9Die endgültige Klassifizierung  aber würde, so A.F. Long et al., mehr Informationen erfordern, vor allem hinsichtlich der Interaktion zwischen BehandlerIn und KlientIn.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Cathy Wong: What You Can Expect From a Shiatsu Massage. Can Shiatsu Soothe Pain? https://www.verywellhealth.com/shiatsu-what-should-i-know-about-it-89743. Zugriff: 28.6.2019.
  • 2
  • 3
    Long AF, Esmonde L, Connolly S: A typology of negative responses: a case study of shiatsu. Complement Ther Med. 2009 Jun;17(3):168-75. Doi: 10.1016/j.ctim.2008.09.004. Epub 2008 Nov 17. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19398071. Siehe auch die deutsche Zusammenfassung der Studie unter /index.php/info-pool/studien/472-long-andrew-et-al-a-typology-of-negative-responses-a-case-study-of-shiatsu. Zugriff: 28.6.2019.
  • 4
    Long AF, Esmonde L, Connolly S: A typology of negative responses: a case study of shiatsu. Complement Ther Med. 2009 Jun;17(3):168-75. Doi: 10.1016/j.ctim.2008.09.004. Epub 2008 Nov 17. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19398071. Siehe auch die deutsche Zusammenfassung der Studie unter /index.php/info-pool/studien/472-long-andrew-et-al-a-typology-of-negative-responses-a-case-study-of-shiatsu. Zugriff: 28.6.2019.
  • 5
    Ebd.
  • 6
    Der Vollständigkeit halber: Typ 1-Antworten stehen in keinem Zusammenhang mit der Behandlung („unconnected responses“, z.B. der Ausbruch einer Grippe). Typ 4-Antworten sind unerwünschte aber ungefährliche Ereignisse oder Auswirkungen („undesired, but not unsafe events or effects“): die von die Kundin als negativ dargestellt werden, sie beunruhigen und ihre Aktivitäten beeinträchtigen (z.B. „Gefühl der Depression“ zwei Tage lang nach der Behandlung).
  • 7
    Yamashita H, Tsukayama H, Tanno Y, Nishijo K.: Adverse events in acupuncture and moxibustion treatment: a six-year survey at a national clinic in Japan. J Alternative Complement Med 1999;5:229-36.
  • 8
    So tritt ein „eindeutig“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit auf und auch bei jeder weiteren Behandlung, ein „wahrscheinlich“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit und gelegentlich bei weiteren Behandlungen, ein „möglich“ unerwünschtes Ereignis tritt nach einer angemessenen Zeit und nicht wieder auf und ein „zweifelhaftes“ unerwünschtes Ereignis zu einem späteren Zeitpunkt und dann nicht mehr.
  • 9
    Die endgültige Klassifizierung  aber würde, so A.F. Long et al., mehr Informationen erfordern, vor allem hinsichtlich der Interaktion zwischen BehandlerIn und KlientIn.

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