Ultrahochverarbeitete Lebensmittel wirken sich negativ auf Gesundheit und Lebenserwartung aus – eine Metaanalyse
Mögliche Wirkmechanismen
Die Wirkmechanismen, die für die Verbindung von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln mit schlechterer Gesundheit und früherem Tod in Verbindung stehen, sind bislang nicht hinlänglich geklärt. Wahrscheinlich aber dürften die Aspekte, in denen sich hochverarbeitete von unverarbeiteten und nur minimal verarbeiteten Lebensmitteln unterscheiden, von Bedeutung sein und für die negativen gesundheitlichen Folgen verantwortlich zeichnen:
- ein schlechteres Nährstoffprofil,
- die Verdrängung von nicht ultraverarbeiteten Lebensmitteln aus der Ernährung und
- die Veränderung der physikalischen Struktur durch die Verarbeitungsprozesse.
Insbesondere werden Ernährungsweisen, die reich an ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln sind, mit Markern für eine schlechte Ernährungsqualität in Verbindung gebracht:
- ein höherer Gehalt an zugesetztem Zucker, gesättigten Fetten und Natrium,
- eine höhere Energiedichte und
- ein geringerer Gehalt an Ballaststoffen, Proteinen und Mikronährstoffen.
Ultrahochverarbeitete Lebensmittel verdrängen „nährstoffreichere“ (more nutritious foods) Lebensmittel, was, so die Autor*innen, zu einer verringerten Aufnahme nützlicher bioaktiver Verbindungen führt, die in diesen Lebensmitteln enthalten sind, darunter Polyphenole1Polyphenole zählen zu den sekundären Pflanzenstoffen und kommen ausschließlich in Pflanzen vor. Sie befinden sich in den Randschichten von Obst, Gemüse und Getreide. Zu ihnen zählen u.a. die Kaffeesäure und Flavonoide. Polyphenole haben zahlreiche positive Wirkungen auf die Gesundheit, u.a. senken sie das Risiko für bestimmte Krebsarten, wirken positiv auf das Immunsystem und sind antioxidativ. oder Phytoöstrogene.2Phytoöstrogene sind sekundäre Pflanzenstoffe, zu denen unter anderem Isoflavone (z.B. Genistein, Daidzein und Coumestrol) und Lignane gehören. Sie sind keine Östrogene im chemischen Sinne, sondern besitzen lediglich strukturelle Ähnlichkeit mit diesen. Diese Ähnlichkeit ermöglicht eine Bindung an Estrogenrezeptoren, wodurch eine östrogene oder auch antiöstrogene Wirkung erzielt werden kann. Solche nährstoffarmen Ernährungsprofile werden mit der Prävalenz und Inzidenz chronischer Krankheiten „über verschiedene Wege“ in Verbindung gebracht, darunter auch Entzündungsmechanismen.
Möglicherweise, so die Autor*innen, lassen sich die mit ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln in Verbindung gebrachten negativen gesundheitlichen Auswirkungen nicht allein durch ihre Nährstoffzusammensetzung und Energiedichte erklären, sondern auch durch physikalische und chemische Eigenschaften, die mit industriellen Verarbeitungsmethoden, Zutaten und Nebenprodukten zusammenhängen:
- Es könnten sich Veränderungen in der Lebensmittelmatrix während der intensiven Verarbeitung („Nahrungsrekonstitution“) auf die Verdauung, die Nährstoffaufnahme und das Sättigungsgefühl auswirken.
- Es gibt neuere Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Zusatzstoffen, einschließlich zuckerfreien Süßstoffen, Emulgatoren, Farbstoffen und Nitraten/Nitriten, und nachteiligen gesundheitlichen Auswirkungen.3Die Autor*innen verweisen auf Debras C, Chazelas E, Srour B, et al.: Artificial sweeteners and cancer risk: Results from the NutriNet-Santé population-based cohort study. PLoS Med2022;19:e1003950. doi:10.1371/journal.pmed.1003950; Debras C, Chazelas E, Sellem L, et al.: Artificial sweeteners and risk of cardiovascular diseases: results from the prospective NutriNet-Santé cohort. BMJ2022;378. doi:10.1136/bmj-2022-071204; Suez J, Cohen Y, Valdés-Mas R, et al.: Personalized microbiome-driven effects of non-nutritive sweeteners on human glucose tolerance. Cell2022;185:3307-3328. doi:10.1016/j.cell.2022.07.016; Bettini S, Boutet-Robinet E, Cartier C, et al.: Food-grade TiO2 impairs intestinal and systemic immune homeostasis, initiates preneoplastic lesions and promotes aberrant crypt development in the rat colon. Sci Rep2017;7:40373. doi:10.1038/srep40373; Srour B, Chazelas E, Druesne-Pecollo N, et al.: Dietary exposure to nitrites and nitrates in association with type 2 diabetes risk: Results from the NutriNet-Santé population-based cohort study. PLoS Med2023;20:e1004149. doi:10.1371/journal.pmed.1004149; und Chassaing B, Compher C, Bonhomme B, et al.: Randomized controlled-feeding study of dietary emulsifier carboxymethylcellulose reveals detrimental impacts on the gut microbiota and metabolome. Gastroenterology2022;162:743-56. doi:10.1053/j.gastro.2021.11.006.
Und eine durchgeführte experimentelle Studie (Lane M, Howland G, West M, et al.: The effect of ultra-processed very low-energy diets on gut microbiota and metabolic outcomes in individuals with obesity: A systematic literature review. Obes Res Clin Pract2020;14:197-204. doi:10.1016/j.orcp.2020.04.006) zeigt, dass ultra-verarbeitete Formulierungen zur Gewichtsabnahme (die aus angeblich ausgewogenen Nährstoffprofilen bestehen, aber verschiedene Zusatzstoffe, einschließlich zuckerfreier Süßstoffe, enthalten) nachteilige Auswirkungen auf das Darmmikrobiom (von dem angenommen wird, dass es bei vielen der in der Studie untersuchten Krankheiten eine wichtige Rolle spielt) haben dürften und damit verbundene Entzündungen verursachen könnten.
In eine ähnliche Richtung gehen kürzlich erfolgte Warnungen der WHO vor einer fortgesetzten Verwendung von Zuckeraustauschstoffen zur Gewichtskontrolle oder zur Behandlung nicht übertragbarer Krankheiten, da ihrem Bericht zufolge zuckerfreie Süßstoffe das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen und die Sterblichkeit erhöhen können (World Health Organization Guidelines Review Committee Nutrition and Food Safety. Use of non-sugar sweeteners. 2023. https://www.who.int/publications/i/item/9789240073616). Darüber hinaus stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) kürzlich den zuckerfreien Süßstoff Aspartam als „möglicherweise krebserregend für den Menschen“ ein, wobei sie sich auf „begrenzte Beweise“ beim Menschen berief (Riboli E, Beland FA, Lachenmeier DW, et al. Carcinogenicity of aspartame, methyleugenol, and isoeugenol. Lancet Oncol2023;24:848-50. doi:10.1016/S1470-2045(23)00341-8).
Eine wachsende Zahl von Daten zeigt darüber hinaus, dass die Kombinationen mehrerer Zusatzstoffe (sogenannte „Cocktaileffekte“) größere Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben können als die Exposition gegenüber einem einzelnen Zusatzstoff. (Chazelas E, Druesne-Pecollo N, Esseddik Y, et al. Exposure to food additive mixtures in 106,000 French adults from the NutriNet-Santé cohort. Sci Rep2021;11:19680. doi:10.1038/s41598-021-98496-6). - Bei der intensiven industriellen Verarbeitung von Lebensmitteln können potenziell schädliche Stoffe entstehen, die mit einem höheren Risiko für chronische Entzündungskrankheiten in Verbindung gebracht werden, darunter Acrolein, Acrylamid, fortgeschrittene Glykierungsendprodukte, Furane, heterozyklische Amine, industrielle Transfettsäuren und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe4Die Autor*innen verweisen auf Martínez Steele E, Buckley JP, Monteiro CA.: Ultra-processed food consumption and exposure to acrylamide in a nationally representative sample of the US population aged 6 years and older. Prev Med2023;174:107598. doi:10.1016/j.ypmed.2023.107598; und Srour B, Kordahi MC, Bonazzi E, Deschasaux-Tanguy M, Touvier M, Chassaing B.: Ultra-processed foods and human health: from epidemiological evidence to mechanistic insights. Lancet Gastroenterol Hepatol2022;7:1128-40. doi:10.1016/S2468-1253(22)00169-8. .
- Zudem können ultrahochverarbeitete Lebensmittel gesundheitsgefährdende Schadstoffe enthalten, die aus Verpackungsmaterialien migrieren, wie Bisphenole, Mikroplastik, Mineralöle und Phthalate.5Die Autor*innen verweisen auf Srour B, Kordahi MC, Bonazzi E, Deschasaux-Tanguy M, Touvier M, Chassaing B.: Ultra-processed foods and human health: from epidemiological evidence to mechanistic insights. Lancet Gastroenterol Hepatol2022;7:1128-40. doi:10.1016/S2468-1253(22)00169-8.
Experimentelle Belege deuten auf einen stabilen Kausalzusammenhang zwischen ultraverarbeiteter Ernährung und erhöhter Energieaufnahme und Gewichtszunahme hin (etwa 500 kcal (2000 kJ) pro Tag und 0,9 kg während der ultraverarbeiteten Ernährung).6Vgl. Hall KD, Ayuketah A, Brychta R, et al.: Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab2019;30:67-77.e3. doi:10.1016/j.cmet.2019.05.008. Die Mechanismen, die zum übermäßigen Verzehr von Nahrungsmitteln mit hohem Anteil an ultraverarbeiteten Lebensmitteln beitragen, scheinen mit der Art der Energiequelle zusammenzuhängen, insbesondere damit, ob sie aus festen Lebensmitteln oder Getränken stammt. Darüber hinaus werden die höhere Energiedichte, die schnellere Verzehrsrate und die „Hyper-Palatibilität“ (besondere Schmackhaftigkeit), die ultraverarbeiteten Lebensmitteln zugeschrieben werden, als wichtige Faktoren angesehen, die diesen Effekt beeinflussen.7Die Autor*innen verweisen auf Fazzino TL, Courville AB, Guo J, Hall KD.: Ad libitum meal energy intake is positively influenced by energy density, eating rate and hyper-palatable food across four dietary patterns. Nat Food2023;4:144-7. doi:10.1038/s43016-022-00688-4. Die umfangreichen Marketingstrategien der Hersteller ultraverarbeiteter Lebensmittel, die optisch ansprechende Verpackungen mit auffälligem Design und gesundheitsbezogene Aussagen umfassen, werden ebenfalls als potenzieller Faktor für den übermäßigen Verzehr genannt.8Die Autor*innen verweisen auf Adams J, Hofman K, Moubarac J-C, Thow AM.: Public health response to ultra-processed food and drinks. BMJ2020;369:m2391. doi:10.1136/bmj.m2391.
Anmerkungen/Fußnoten
- 1Polyphenole zählen zu den sekundären Pflanzenstoffen und kommen ausschließlich in Pflanzen vor. Sie befinden sich in den Randschichten von Obst, Gemüse und Getreide. Zu ihnen zählen u.a. die Kaffeesäure und Flavonoide. Polyphenole haben zahlreiche positive Wirkungen auf die Gesundheit, u.a. senken sie das Risiko für bestimmte Krebsarten, wirken positiv auf das Immunsystem und sind antioxidativ.
- 2Phytoöstrogene sind sekundäre Pflanzenstoffe, zu denen unter anderem Isoflavone (z.B. Genistein, Daidzein und Coumestrol) und Lignane gehören. Sie sind keine Östrogene im chemischen Sinne, sondern besitzen lediglich strukturelle Ähnlichkeit mit diesen. Diese Ähnlichkeit ermöglicht eine Bindung an Estrogenrezeptoren, wodurch eine östrogene oder auch antiöstrogene Wirkung erzielt werden kann.
- 3Die Autor*innen verweisen auf Debras C, Chazelas E, Srour B, et al.: Artificial sweeteners and cancer risk: Results from the NutriNet-Santé population-based cohort study. PLoS Med2022;19:e1003950. doi:10.1371/journal.pmed.1003950; Debras C, Chazelas E, Sellem L, et al.: Artificial sweeteners and risk of cardiovascular diseases: results from the prospective NutriNet-Santé cohort. BMJ2022;378. doi:10.1136/bmj-2022-071204; Suez J, Cohen Y, Valdés-Mas R, et al.: Personalized microbiome-driven effects of non-nutritive sweeteners on human glucose tolerance. Cell2022;185:3307-3328. doi:10.1016/j.cell.2022.07.016; Bettini S, Boutet-Robinet E, Cartier C, et al.: Food-grade TiO2 impairs intestinal and systemic immune homeostasis, initiates preneoplastic lesions and promotes aberrant crypt development in the rat colon. Sci Rep2017;7:40373. doi:10.1038/srep40373; Srour B, Chazelas E, Druesne-Pecollo N, et al.: Dietary exposure to nitrites and nitrates in association with type 2 diabetes risk: Results from the NutriNet-Santé population-based cohort study. PLoS Med2023;20:e1004149. doi:10.1371/journal.pmed.1004149; und Chassaing B, Compher C, Bonhomme B, et al.: Randomized controlled-feeding study of dietary emulsifier carboxymethylcellulose reveals detrimental impacts on the gut microbiota and metabolome. Gastroenterology2022;162:743-56. doi:10.1053/j.gastro.2021.11.006.
Und eine durchgeführte experimentelle Studie (Lane M, Howland G, West M, et al.: The effect of ultra-processed very low-energy diets on gut microbiota and metabolic outcomes in individuals with obesity: A systematic literature review. Obes Res Clin Pract2020;14:197-204. doi:10.1016/j.orcp.2020.04.006) zeigt, dass ultra-verarbeitete Formulierungen zur Gewichtsabnahme (die aus angeblich ausgewogenen Nährstoffprofilen bestehen, aber verschiedene Zusatzstoffe, einschließlich zuckerfreier Süßstoffe, enthalten) nachteilige Auswirkungen auf das Darmmikrobiom (von dem angenommen wird, dass es bei vielen der in der Studie untersuchten Krankheiten eine wichtige Rolle spielt) haben dürften und damit verbundene Entzündungen verursachen könnten.
In eine ähnliche Richtung gehen kürzlich erfolgte Warnungen der WHO vor einer fortgesetzten Verwendung von Zuckeraustauschstoffen zur Gewichtskontrolle oder zur Behandlung nicht übertragbarer Krankheiten, da ihrem Bericht zufolge zuckerfreie Süßstoffe das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen und die Sterblichkeit erhöhen können (World Health Organization Guidelines Review Committee Nutrition and Food Safety. Use of non-sugar sweeteners. 2023. https://www.who.int/publications/i/item/9789240073616). Darüber hinaus stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) kürzlich den zuckerfreien Süßstoff Aspartam als „möglicherweise krebserregend für den Menschen“ ein, wobei sie sich auf „begrenzte Beweise“ beim Menschen berief (Riboli E, Beland FA, Lachenmeier DW, et al. Carcinogenicity of aspartame, methyleugenol, and isoeugenol. Lancet Oncol2023;24:848-50. doi:10.1016/S1470-2045(23)00341-8).
Eine wachsende Zahl von Daten zeigt darüber hinaus, dass die Kombinationen mehrerer Zusatzstoffe (sogenannte „Cocktaileffekte“) größere Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben können als die Exposition gegenüber einem einzelnen Zusatzstoff. (Chazelas E, Druesne-Pecollo N, Esseddik Y, et al. Exposure to food additive mixtures in 106,000 French adults from the NutriNet-Santé cohort. Sci Rep2021;11:19680. doi:10.1038/s41598-021-98496-6). - 4Die Autor*innen verweisen auf Martínez Steele E, Buckley JP, Monteiro CA.: Ultra-processed food consumption and exposure to acrylamide in a nationally representative sample of the US population aged 6 years and older. Prev Med2023;174:107598. doi:10.1016/j.ypmed.2023.107598; und Srour B, Kordahi MC, Bonazzi E, Deschasaux-Tanguy M, Touvier M, Chassaing B.: Ultra-processed foods and human health: from epidemiological evidence to mechanistic insights. Lancet Gastroenterol Hepatol2022;7:1128-40. doi:10.1016/S2468-1253(22)00169-8.
- 5Die Autor*innen verweisen auf Srour B, Kordahi MC, Bonazzi E, Deschasaux-Tanguy M, Touvier M, Chassaing B.: Ultra-processed foods and human health: from epidemiological evidence to mechanistic insights. Lancet Gastroenterol Hepatol2022;7:1128-40. doi:10.1016/S2468-1253(22)00169-8.
- 6Vgl. Hall KD, Ayuketah A, Brychta R, et al.: Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab2019;30:67-77.e3. doi:10.1016/j.cmet.2019.05.008.
- 7Die Autor*innen verweisen auf Fazzino TL, Courville AB, Guo J, Hall KD.: Ad libitum meal energy intake is positively influenced by energy density, eating rate and hyper-palatable food across four dietary patterns. Nat Food2023;4:144-7. doi:10.1038/s43016-022-00688-4.
- 8Die Autor*innen verweisen auf Adams J, Hofman K, Moubarac J-C, Thow AM.: Public health response to ultra-processed food and drinks. BMJ2020;369:m2391. doi:10.1136/bmj.m2391.