Ultrahochverarbeitete Lebensmittel wirken sich negativ auf Gesundheit und Lebenserwartung aus – eine Metaanalyse

Burger

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Die von brasilianischen Wissenschafler*innen1Siehe Monteiro, C. A., Cannon, G., Levy, R., Moubarac, J. C., Jaime, P., Martins, A. P., … & Parra, D. (2016). NOVA. The star shines bright. World Nutrition7(1-3), 28-38. https://worldnutritionjournal.org/index.php/wn/article/view/5; Monteiro CA, Cannon G, Moubarac JC, Levy RB, Louzada MLC, Jaime PC. The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra-processing. Public Health Nutr. 2018 Jan;21(1):5-17. DOI: 10.1017/S1368980017000234. 2016 veröffentlichte NOVA-Klassifizierung teilt Lebensmittel nach ihrem Verarbeitungsgrad in vier Stufen ein (von unverarbeitet/minimal verarbeitet bis zu hoch verarbeiteten Fertigprodukten).2Siehe auch Nova-Klassifizierung von Lebensmitteln.
Das Nova-Klassifizierungssystem ist das weltweit am häufigsten verwendete Klassifizierungssystem für Lebensmittel, gleichwohl gibt es Bedenken zu zentralen Punkten, weil die verfügbaren Studien in erster Linie epidemiologischer Natur sind und möglicherweise keine adäquate Berücksichtigung von beispielsweise Kovariaten aufweisen.
(Ultra-)Hochverarbeitete Lebensmittel, die aus meist durch chemische Prozesse modifizierten Zutaten bestehen und unter Verwendung von Aromen, Farbstoffen und Emulgatoren sofort verzehrfertig und besonders schmackhaft sind, stehen im Ruf – zumindest bei übermäßigem Genuss – mit einem höheren Risiko für negative gesundheitliche Folgen verbunden zu sein3Vgl. Hall KD et al.: Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):67-77. DOI: 10.1016/j.cmet.2019.05.008., insbesondere für kardiometabolische und allgemeine psychische Störungen sowie für eine geringere Lebenserwartung. Eine 2024 veröffentlichte Metastudie von Lane et al.4Lane M M, Gamage E, Du S, Ashtree D N, McGuinness A J, Gauci S et al.: Ultra-processed food exposure and adverse health outcomes: umbrella review of epidemiological meta-analyses BMJ 2024; 384. doi:10.1136/bmj-2023-077310, https://www.bmj.com/content/384/bmj-2023077310. überprüft die vorliegende Evidenz eines Zusammenhangs zwischen ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln und einem erhöhten Gesundheits- und Sterblichkeitsrisiko. In der Analyse wurde:

  • ein höheres Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen in Verbindung mit einer höheren Exposition („Genuss“) gegenüber ultraverarbeiteten Lebensmitteln bestätigt, und es fanden sich überzeugende Beweise für einen Zusammenhang mit
  • einem frühen Tod sowie negative Auswirkungen auf die kardiometabolische5Kardiometabolische Erkrankung sind Krankheitsbilder, die das Herz-Kreislaufsystem und/oder Stoffwechselvorgänge betreffen, auch Übergewicht, Fettleibigkeit und Typ 2-Diabetes. und psychische Gesundheit.

Keine klaren Belege finden sich allerdings für den Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber ultraverarbeiteten Lebensmitteln und Asthma, Magen-Darm-Erkrankungen, einigen Krebsarten und intermediären kardiometabolischen Risikofaktoren. Hier bedarf es weiterer Studien.

Hintergrund

Ultrahochverarbeitete Lebensmittel (Stufe 4 der NOVA-Lebensmittelklassifikation6Siehe /nova-klassifizierung-von-lebensmitteln/. umfassen eine breite Palette von verzehrfertigen Produkten7Diese Produkte sind als industrielle Zubereitungen gekennzeichnet, die hauptsächlich aus chemisch veränderten Substanzen bestehen, die aus Lebensmitteln extrahiert wurden, sowie aus Zusatzstoffen zur Verbesserung von Geschmack, Textur, Aussehen und Haltbarkeit, wobei nur wenige oder gar keine ganzen Lebensmittel enthalten sind. Vgl. Monteiro CA, Cannon G, Levy RB, et al.: Ultra-processed foods: what they are and how to identify them. Public Health Nutr2019;22:936-41. doi:10.1017/S1368980018003762., darunter verpackte Snacks, kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke, Instantnudeln und Fertiggerichte, die – folgt man Analysen der Verkaufszahlen – weltweit zunehmend konsumiert werden, wenngleich es innerhalb und zwischen Ländern und Regionen erhebliche Unterschiede gibt.8In Australien beträgt der Anteil hochverarbeiteter Lebensmittel 42 %, in den USA 58 %, in Italien hingegen nur 10 % und in Südkorea 25 %. Besonders in bevölkerungsreichen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen hat die Verfügbarkeit und Vielfalt dieser Produkte erheblich und schnell zugenommen. Die Autor*innen verweisen auf Baker P, Machado P, Santos T, et al.: Ultra-processed foods and the nutrition transition: Global, regional and national trends, food systems transformations and political economy drivers. Obes Rev2020;21:e13126. doi:10.1111/obr.13126.

Die Verlagerung von unverarbeiteten und minimal verarbeiteten Lebensmitteln hin zu ultraverarbeiteten Lebensmitteln und ihr zunehmender Anteil an den globalen Ernährungsmustern in den letzten Jahren werden, so die Autor*innen, auf Faktoren wie Verhaltensmechanismen, das Lebensmittelumfeld und kommerzielle Einflüsse auf die Lebensmittelauswahl zurückgeführt. Diese Faktoren in Verbindung mit den spezifischen Merkmalen ultraverarbeiteter Lebensmittel geben Expert*innen Anlass zur Sorge über die Qualität der Ernährung insgesamt und die Gesundheit der Bevölkerung im Allgemeinen, denn zu den Merkmalen ultraverarbeiteter Lebensmittel gehören beispielsweise Veränderungen der Lebensmittelmatrix und -beschaffenheit, potenzielle Verunreinigungen durch Verpackungsmaterial und Verarbeitung, das Vorhandensein von Lebensmittelzusatzstoffen und anderen industriellen Zutaten sowie ein nährstoffarmes Profil (z. B. mehr Energie, Salz, Zucker und gesättigte Fettsäuren bei geringerem Gehalt an Ballaststoffen, Mikronährstoffen und Vitaminen). Neuere Erkenntnisse in diesem Zusammenhang deuten darauf hin, dass diese Eigenschaften hochverarbeiteter Lebensmittel synergistische oder verstärkende Wirkungen auf chronische Entzündungskrankheiten haben, wie z.B. durch Veränderungen des Darmmikrobioms oder vermehrte Entzündungsreaktionen.9Die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen der Exposition gegenüber ultraverarbeiteten Lebensmitteln und dem Risiko nachteiliger gesundheitlicher Folgen, verbessert, so der Ansatz der Autor*innen, nicht nur das Verständnis der Zusammenhänge, sondern kann auch dem Einzelnen ebenso wie der öffentlichen Gesundheitspolitik gesicherte Informationen (Zusammenhänge und Orientierung) liefern.

Durchführung

Da in der Pilotphase der Studie keine gepoolten Analysen randomisierter kontrollierter Studien gefunden wurden, konzentrierten sich die Autor*innen auf epidemiologische Beobachtungsstudien in MEDLINE, PsycINFO, Embase und den Cochrane-Datenbanken im Zeitraum zwischen 2009102009 erfolgte die Erstveröffentlichung der Details und Grundsätze des Nova-Lebensmittelklassifizierungssystems, mit dem das Konzept der ultraverarbeiteten Lebensmittel eingeführt wurde. und Juni 2023. In den Forschungsdatenbanken wurden insgesamt 668 Studien gefunden. Nach dem Ausschluss von Duplikaten und Studien, die für die vorliegende Metaanalyse nicht geeignet waren, verblieben 14 Metaanalysen mit 45 gepooten Analysen.

Das Spektrum der in den 45 einzelnen gepoolten Analysen1118 prospektive Kohorten, 15 gemischte Studiendesigns und 12 Querschnittdesigns. untersuchten negativen Gesundheitsfolgen umfasste Mortalität, Krebs sowie psychische, respiratorische, kardiovaskuläre, gastrointestinale und metabolische Gesundheitsfolgen.12Alle Studien der Meta-Analyse wurden in den letzten drei Jahren veröffentlicht, und keine wurde von einem Unternehmen finanziert, das an der Herstellung von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln beteiligt ist. Die Anzahl der ursprünglichen Forschungsartikel, die in die gepoolten Analysen einbezogen wurden, betrug im Durchschnitt vier und reichte von zwei bis neun. Die Gesamtzahl der Teilnehmer, die in die gepoolten Analysen einbezogen wurden, betrug 9 888.373. Die meisten gepoolten Analysen umfassten Erwachsene als Hauptpopulation, die Ausnahme bildeten fünf Analysen, die Kinder und Jugendliche bei der Untersuchung von psychischen Gesundheitsergebnissen und Atemwegserkrankungen miteinschlossen.

Alle Metaanalysen untersuchten die „Non-Dose-Response-Assoziationen“ zwischen der Exposition gegenüber ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln und nachteiligen Gesundheitsfolgen. In 13 gepoolten Analysen aus fünf Meta-Analyse-Studien wurde zudem eine zusätzliche Analyse durchgeführt, die eine Dosis-Wirkungs-Modellierung der Variablen für die Exposition gegenüber ultraverarbeiteten Lebensmitteln beinhaltete. Berücksichtigt wurden dabei Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Ereignisse, wie Morbidität und Mortalität durch kardiovaskuläre Erkrankungen, die mit jeder Zunahme der täglichen Portionen ultraverarbeiteter Lebensmittel erhoben wurden. In einer Meta-Analyse-Studie wurden speziell Todesfälle im Zusammenhang mit Herzkrankheiten, wie ischämische Herzkrankheiten und zerebrovaskuläre Erkrankungen, mit jeder 10 %igen „Zunahme der Gesamtexposition gegenüber ultraverarbeiteten Lebensmitteln“ gepoolt und darüber hinaus wurden Zusammenhänge für andere Ergebnisse, wie z.B. Übergewicht und Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes sowie Brust-, Darm- und Prostatakrebs, auf der Grundlage jeder 10 %igen „Zunahme der Exposition gegenüber ultraverarbeiteten Lebensmitteln“ berechnet.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Siehe Monteiro, C. A., Cannon, G., Levy, R., Moubarac, J. C., Jaime, P., Martins, A. P., … & Parra, D. (2016). NOVA. The star shines bright. World Nutrition7(1-3), 28-38. https://worldnutritionjournal.org/index.php/wn/article/view/5; Monteiro CA, Cannon G, Moubarac JC, Levy RB, Louzada MLC, Jaime PC. The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra-processing. Public Health Nutr. 2018 Jan;21(1):5-17. DOI: 10.1017/S1368980017000234.
  • 2
    Siehe auch Nova-Klassifizierung von Lebensmitteln.
    Das Nova-Klassifizierungssystem ist das weltweit am häufigsten verwendete Klassifizierungssystem für Lebensmittel, gleichwohl gibt es Bedenken zu zentralen Punkten, weil die verfügbaren Studien in erster Linie epidemiologischer Natur sind und möglicherweise keine adäquate Berücksichtigung von beispielsweise Kovariaten aufweisen.
  • 3
    Vgl. Hall KD et al.: Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):67-77. DOI: 10.1016/j.cmet.2019.05.008.
  • 4
    Lane M M, Gamage E, Du S, Ashtree D N, McGuinness A J, Gauci S et al.: Ultra-processed food exposure and adverse health outcomes: umbrella review of epidemiological meta-analyses BMJ 2024; 384. doi:10.1136/bmj-2023-077310, https://www.bmj.com/content/384/bmj-2023077310.
  • 5
    Kardiometabolische Erkrankung sind Krankheitsbilder, die das Herz-Kreislaufsystem und/oder Stoffwechselvorgänge betreffen, auch Übergewicht, Fettleibigkeit und Typ 2-Diabetes.
  • 6
  • 7
    Diese Produkte sind als industrielle Zubereitungen gekennzeichnet, die hauptsächlich aus chemisch veränderten Substanzen bestehen, die aus Lebensmitteln extrahiert wurden, sowie aus Zusatzstoffen zur Verbesserung von Geschmack, Textur, Aussehen und Haltbarkeit, wobei nur wenige oder gar keine ganzen Lebensmittel enthalten sind. Vgl. Monteiro CA, Cannon G, Levy RB, et al.: Ultra-processed foods: what they are and how to identify them. Public Health Nutr2019;22:936-41. doi:10.1017/S1368980018003762.
  • 8
    In Australien beträgt der Anteil hochverarbeiteter Lebensmittel 42 %, in den USA 58 %, in Italien hingegen nur 10 % und in Südkorea 25 %. Besonders in bevölkerungsreichen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen hat die Verfügbarkeit und Vielfalt dieser Produkte erheblich und schnell zugenommen. Die Autor*innen verweisen auf Baker P, Machado P, Santos T, et al.: Ultra-processed foods and the nutrition transition: Global, regional and national trends, food systems transformations and political economy drivers. Obes Rev2020;21:e13126. doi:10.1111/obr.13126.
  • 9
    Die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen der Exposition gegenüber ultraverarbeiteten Lebensmitteln und dem Risiko nachteiliger gesundheitlicher Folgen, verbessert, so der Ansatz der Autor*innen, nicht nur das Verständnis der Zusammenhänge, sondern kann auch dem Einzelnen ebenso wie der öffentlichen Gesundheitspolitik gesicherte Informationen (Zusammenhänge und Orientierung) liefern.
  • 10
    2009 erfolgte die Erstveröffentlichung der Details und Grundsätze des Nova-Lebensmittelklassifizierungssystems, mit dem das Konzept der ultraverarbeiteten Lebensmittel eingeführt wurde.
  • 11
    18 prospektive Kohorten, 15 gemischte Studiendesigns und 12 Querschnittdesigns.
  • 12
    Alle Studien der Meta-Analyse wurden in den letzten drei Jahren veröffentlicht, und keine wurde von einem Unternehmen finanziert, das an der Herstellung von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln beteiligt ist.

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