Tuina verbessert die Muskelfunktion nach einem Schlaganfall

Lähmung

Ergebnisse

Generell, so die vorliegende systematische Übersichtsarbeit, erweist sich Tuina in Kombination mit Physiotherapie als wirksame Methode zur Verbesserung der motorischen Funktion und zur Verringerung der Spastik bei Patient*innen, die einen Schlaganfall überlebt haben – insbesondere im subakuten Stadium (typischerweise zwischen dem 10. und 15. Tag nach dem Hirninfarkt).1Typisch für die subakute Phase ist die sogenannte ADC-Pseudonormalisierung, die sich auf die Diffusion im Gewebe bezieht (ADC: Apparent Diffusion Coefficient). Aber auch die Kombination von Tuina-Massage und Akupunktur erweist sich in der Analyse als wirksam.2Überaschenderweise, obwohl es Studien zur Wirksamkeit von schwedischer (klassischer) Massage zur Verbesserung von Spastik und motorischen Funktionen bei Multipler Sklerose und Zerebralparese gibt, fanden die Autor*innen nur eine einzige Studie zu schwedischer Massage. Sie wurde zur Verringerung von Ängsten eingesetzt.

Im Zentrum der Untersuchungen standen die motorischen Funktionen der oberen und unteren Gliedmaßen, gefolgt von der Spastizität, wobei beide Ergebnisse miteinander verknüpft sind: Bei Überlebenden von Schlaganfällen können die motorischen Beeinträchtigungen durch einen „Überaktivitäts-Verkürzungs-Überaktivitäts-Zyklus“ (overactivity-contracture-overactivity3Der „overactivity-contracture-overactivity“ Zyklus beschreibt einen Teufelskreis von Muskelüberaktivität (Overactivity) mit erhöhter Muskelspannung und unkontrollierten Muskelkontraktionen, die zu Verkürzungen (Contracture) und eingeschränkter Beweglichkeit führt und schließlich zu weiterer Muskelüberaktivität, da die Muskeln weiterhin gegen die eingeschränkte Beweglichkeit ankämpfen.) beschrieben werden, parallel dazu entwickelt sich der „Lähmung-Inaktivität-Lähmungs-Zyklus“ (paresis-disuse-paresis4Der „paresis-disuse-paresis“ Zyklus beschreibt einen Teufelskreis, bei dem es auf Grund einer neurologischen Störung zu Muskelschwäche oder vollständiger Lähmung kommt. Dadurch, dass die betroffenen Muskeln weniger oder überhaupt nicht mehr genutzt werden (Inaktivität, Disuse), kommt es zu (weiterem) Muskelabbau und zu Schwäche, die die Lähmung verstärkt, weil sich die Muskelkraft weiter verschlechtert.). Beide Zyklen müssen durchbrochen werden, damit motorische Erholung und Wiedererlangung der Funktion optimal stattfindet.5Eine vollständigere Wiederherstellung der motorischen Funktion wird erreicht, wenn die Spastik nicht vorhanden ist. Die Autor*innen verweisen dazu auf Ryu, J.S.; Lee, J.W.; Lee, S.I.; Chun, M.H. Factors Predictive of spasticity and their effects on motor recovery and functional outcomes in stroke patients. Top. Stroke Rehabil. 2010, 17, 380–388.
Dabei ist es wichtig, die Spastik zu reduzieren, bevor der Patient die willkürliche Bewegung ausführt, um eine Bewegung mit einer gewissen Qualität zu erhalten, da dies die Neuroplastizität der Personen und ihre Genesung beeinflusst. Die Autor*innen verweisen dazu auf Li, S. Spasticity, motor recovery, and neural plasticity after stroke. Front. Neurol. 2017, 8, 120.

Der Mechanismus, der den Veränderungen des Elastizitätsmoduls in spastischen Muskeln von Schlaganfallüberlebenden zugrunde liegt, wird noch diskutiert, die therapeutische Massage dürfte aber dadurch wirken, dass sie die Durchblutung und die parasympathische Aktivität erhöht, Entspannungs- und Stresshormone freisetzt und die Muskelspannung und die neuromuskuläre Erregbarkeit hemmt.6Die Autor*innen verweisen auf Zeng, H.; Butterfield, T.A.; Agarwal, S.; Haq, F.; Best, T.M.; Zhao, Y. An engineering approach for quantitative analysis of the lengthwise strokes in massage therapies. J. Med. Devices Trans. ASME 2008, 2, 041003.

Die Ergebnisse in Bezug auf die Aktivitäten des täglichen Lebens, den Gang, das Gleichgewicht, die Lebensqualität und die Schwere des Schlaganfalls waren nicht schlüssig, der Trend war allerdings positiv, wenn Tuina ergänzend zur konventionellen Therapie oder zur Akupunktur eingesetzt wird.

Hinsichtlich der Schmerzen stimmen die positiven Ergebnisse der vorliegenden Studie mit der verfügbaren Literatur überein,7Die Autor*innen verweisen auf Miake-Lye, I.M.; Mak, S.; Lee, J.; Luger, T.; Taylor, S.L.; Shanman, R.; Beroes-Severin, J.M.; Shekelle, P.G. Massage for pain: An evidence map. J. Altern. Complement. Med. 2019, 25, 475–502. wobei die Autor*innen ausführen, dass es immer mehr Belege für das Konzept eines interaktiven Netzwerks zwischen den Hautnerven, der neuroendokrinen Achse und dem Immunsystem gibt8Die Autor*innen verweisen auf Mescher, A.L.; Neff, A.W.; King, M.W. Inflammation and immunity in organ regeneration. Dev. Comp. Immunol. 2017, 66, 98–110., positive Wirkungen aber auch durch Oxytocin vermittelt werden.9Die Autor*innen verweisen auf Uvnäs-Moberg, K.; Handlin, L.; Petersson, M. Self-soothing behaviors with particular reference to oxytocin release induced by non-noxious sensory stimulation. Front. Psychol. 2015, 5, 1529.

Massagen haben auch positive Auswirkungen auf die Ängste der vom Schlaganfall betroffenen Patient*innen.10Daten aus der funktionellen Magnetresonanztomographie deuten darauf hin, dass eine moderate Druckmassage mit Bewegung in mehreren Hirnregionen vertreten ist, darunter die Amygdala, der Hypothalamus und der anteriore cinguläre Kortex, allesamt Bereiche, die an der Stress- und Emotionsregulation beteiligt sind. Die Autor*innen verweisen auf Lindgren, L.; Westling, G.; Brulin, C.; Lehtipalo, S.; Andersson, M.; Nyberg, L. Pleasant human touch is represented in pregenual anterior cingulate cortex. NeuroImage 2012, 59, 3427–3432; und Cassileth, B.R.; Vickers, A.J. Massage therapy for symptom control: Outcome study at a major cancer center. J. Pain Symptom Manag. 2004, 28, 244–249.

Unerwünschte Ereignisse

Ergänzend ist zu erwähnen, dass keine Studie über unerwünschte Ereignisse berichtete, aber Massagebehandlungen nicht gänzlich frei von Risiken sind. Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen ist unbekannt, aber wahrscheinlich gering. Die Massage selbst erhöht das Schlaganfallrisiko einer Person nicht, aber bei bestimmten Personen sind einige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Bei Personen mit Blutgerinnseln besteht ein geringes Risiko, dass diese durch die Behandlung aufgelöst werden können. Personen, die blutverdünnende Medikamente einnehmen, bekommen leichter Blutergüsse, so dass eine tiefe Gewebemassage vermieden werden sollte. Im Nackenbereich, im Bereich der Halsschlagader, ist Vorsicht geboten, doch sollte dies bei erfahrenen Massagetherapeut*innen kein Problem darstellen.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Typisch für die subakute Phase ist die sogenannte ADC-Pseudonormalisierung, die sich auf die Diffusion im Gewebe bezieht (ADC: Apparent Diffusion Coefficient).
  • 2
    Überaschenderweise, obwohl es Studien zur Wirksamkeit von schwedischer (klassischer) Massage zur Verbesserung von Spastik und motorischen Funktionen bei Multipler Sklerose und Zerebralparese gibt, fanden die Autor*innen nur eine einzige Studie zu schwedischer Massage. Sie wurde zur Verringerung von Ängsten eingesetzt.
  • 3
    Der „overactivity-contracture-overactivity“ Zyklus beschreibt einen Teufelskreis von Muskelüberaktivität (Overactivity) mit erhöhter Muskelspannung und unkontrollierten Muskelkontraktionen, die zu Verkürzungen (Contracture) und eingeschränkter Beweglichkeit führt und schließlich zu weiterer Muskelüberaktivität, da die Muskeln weiterhin gegen die eingeschränkte Beweglichkeit ankämpfen.
  • 4
    Der „paresis-disuse-paresis“ Zyklus beschreibt einen Teufelskreis, bei dem es auf Grund einer neurologischen Störung zu Muskelschwäche oder vollständiger Lähmung kommt. Dadurch, dass die betroffenen Muskeln weniger oder überhaupt nicht mehr genutzt werden (Inaktivität, Disuse), kommt es zu (weiterem) Muskelabbau und zu Schwäche, die die Lähmung verstärkt, weil sich die Muskelkraft weiter verschlechtert.
  • 5
    Eine vollständigere Wiederherstellung der motorischen Funktion wird erreicht, wenn die Spastik nicht vorhanden ist. Die Autor*innen verweisen dazu auf Ryu, J.S.; Lee, J.W.; Lee, S.I.; Chun, M.H. Factors Predictive of spasticity and their effects on motor recovery and functional outcomes in stroke patients. Top. Stroke Rehabil. 2010, 17, 380–388.
    Dabei ist es wichtig, die Spastik zu reduzieren, bevor der Patient die willkürliche Bewegung ausführt, um eine Bewegung mit einer gewissen Qualität zu erhalten, da dies die Neuroplastizität der Personen und ihre Genesung beeinflusst. Die Autor*innen verweisen dazu auf Li, S. Spasticity, motor recovery, and neural plasticity after stroke. Front. Neurol. 2017, 8, 120.
  • 6
    Die Autor*innen verweisen auf Zeng, H.; Butterfield, T.A.; Agarwal, S.; Haq, F.; Best, T.M.; Zhao, Y. An engineering approach for quantitative analysis of the lengthwise strokes in massage therapies. J. Med. Devices Trans. ASME 2008, 2, 041003.
  • 7
    Die Autor*innen verweisen auf Miake-Lye, I.M.; Mak, S.; Lee, J.; Luger, T.; Taylor, S.L.; Shanman, R.; Beroes-Severin, J.M.; Shekelle, P.G. Massage for pain: An evidence map. J. Altern. Complement. Med. 2019, 25, 475–502.
  • 8
    Die Autor*innen verweisen auf Mescher, A.L.; Neff, A.W.; King, M.W. Inflammation and immunity in organ regeneration. Dev. Comp. Immunol. 2017, 66, 98–110.
  • 9
    Die Autor*innen verweisen auf Uvnäs-Moberg, K.; Handlin, L.; Petersson, M. Self-soothing behaviors with particular reference to oxytocin release induced by non-noxious sensory stimulation. Front. Psychol. 2015, 5, 1529.
  • 10
    Daten aus der funktionellen Magnetresonanztomographie deuten darauf hin, dass eine moderate Druckmassage mit Bewegung in mehreren Hirnregionen vertreten ist, darunter die Amygdala, der Hypothalamus und der anteriore cinguläre Kortex, allesamt Bereiche, die an der Stress- und Emotionsregulation beteiligt sind. Die Autor*innen verweisen auf Lindgren, L.; Westling, G.; Brulin, C.; Lehtipalo, S.; Andersson, M.; Nyberg, L. Pleasant human touch is represented in pregenual anterior cingulate cortex. NeuroImage 2012, 59, 3427–3432; und Cassileth, B.R.; Vickers, A.J. Massage therapy for symptom control: Outcome study at a major cancer center. J. Pain Symptom Manag. 2004, 28, 244–249.

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