Nova-Klassifizierung von Lebensmitteln

Pizza

Ergänzend zu den üblichen Ernährungsempfehlungen, die vor allem auf dem Energie- und Nährstoffgehalt von Lebensmitteln basieren, gibt es die NOVA-Klassifizierung, die 2016 von brasilianischen Wissenschaftlern veröffentlicht wurde.1Monteiro, C. A., Cannon, G., Levy, R., Moubarac, J. C., Jaime, P., Martins, A. P., … & Parra, D. (2016). NOVA. The star shines bright. World Nutrition7(1-3), 28-38. https://worldnutritionjournal.org/index.php/wn/article/view/5; Monteiro CA, Cannon G, Moubarac JC, Levy RB, Louzada MLC, Jaime PC. The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra-processing. Public Health Nutr. 2018 Jan;21(1):5-17. DOI: 10.1017/S1368980017000234. Ihr zufolge werden Lebensmittel nach ihrem Verarbeitungsgrad in vier Stufen eingeteilt, die von unverarbeitet/minimal verarbeitet bis zu hoch verarbeiteten Fertigprodukten reichen.

  • Stufe 1: rohe, getrocknete oder tiefgekühlte Gemüse, Wurzeln und Früchte, Getreide, Bohnen, Fleisch, Fisch, Eier, Nüsse und Samen
  • Stufe 2: Pfanzenöle (z.B. Olivenöl, Kokosnussöl), tierische Fette (z.B. Rahm, Butter, Schmalz), Ahornsirup, Zucker, Salz
  • Stufe 3: Obst- und Gemüsekonserven milchsauer eingelegtes Gemüse, Fleisch, Fisch oder Früchte, frisch gebackenes Brot, gereifter Käse, gesalzenes Fleisch, Wein, Bier, Cider
  • Stufe 4: mit Zucker gesüßte Getränke, süße und pikante verpackte Snacks, Formfleisch (rekonstituiertes Fleisch), verarbeitete Fleisch- und Fischprodukte, Tiefkühlfertiggerichte, Dosen- und Instantsuppen, Chicken Nuggets, Eiscreme

Hochverarbeitete Lebensmittel setzen sich dieser Klassifizierung folgend aus meist durch chemische Prozesse modifizierte Zutaten zusammen und sind unter Verwendung von Aromen, Farbstoffen und Emulgatoren sofort verzehrfertig und besonders schmackhaft. Sie fördern eine hohe, meist zu hohe Energiezufuhr, wobei als besorgniserregend gilt, dass diese Lebensmittel einen großen Anteil an den üblicherweise verzehrten Lebensmitteln ausmachen2Vandevijvere S, Jaacks LM, Monteiro CA, Moubarac JC, Girling-Butcher M, Lee AC, Pan A, Bentham J, Swinburn B. Global trends in ultraprocessed food and drink product sales and their association with adult body mass index trajectories. Obes Rev. 2019 Nov;20 Suppl 2:10-19. DOI: 10.1111/obr.12860., zum Teil bereits mit der Beikost eingeführt3https://doi.org/10.1016/j.jped.2016.11.015. und bevorzugt in Regionen mit niedrigem Sozialstatus aggressiv beworben werden.4„Hochverarbeitete Lebensmittel und ernährungsmitbedingte Erkrankungen“ in Ernährung im Fokus 2/2021, https://www.bzfe.de/ernaehrung-im-fokus/unsere-highlights/hochverarbeitete-lebensmittel-und-ernaehrungsmitbedingte-erkrankungen/ Ein Experiment von Hall et al. mit 20 Personen zeigte zudem, dass die Teilnehmenden bei unbegrenztem Zugang zu einer Kost mit hochverarbeiteten Lebensmitteln innerhalb von 14 Tagen deutlich mehr Energie verzehrten und an Gewicht zunahmen als während der Phase mit unbegrenztem Zugang zu kaum verarbeiteten Lebensmitteln, in der sie an Gewicht verloren.5Hall KD et al.: Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):67-77.e3. DOI: 10.1016/j.cmet.2019.05.008.

Einen Überblick über den Konsum von hochverarbeiteten Lebensmittel in Europa6Vor allem Feinbäckerei und Softdrinks sind hier prominent vertreten. gibt die Studie von Mertines, Colizzi & Pnalvo.7Mertens E, Colizzi C, Pnalvo JL: Ultra-processed food consumption in adults across Europe. EJN (2021) 61: 1521-153 https://link.springer.com/article/10.1007/s00394-021-02733-7. Hier zeigt sich, dass der Energieanteil der ultraprozessierten Lebensmittel (UPFDs) in den einbezogenen europäischen Ländern deutlich variierte und zwischen 14 und 44 Prozent lag. In Italien und Rumänien war er am niedrigsten, in Großbritannien und Schweden am höchsten.8Länder mit einem höheren Zuckerkonsum meldeten auch einen höheren Energieanteil aus UPFDs. Generell zeigte sich ein leichter Rückgang im Verbrauch von hochverarbeiteten Lebensmitteln (2 bis 15 Prozent), mit Ausnahme von Finnland, Spanien und Großbritannien, die einen Anstieg von 3 bis 9 Prozent verzeichneten.

Zweifel und Kritik am negativen Einfluss von hochverarbeiteten Lebensmitteln

Aufgrund dieser Daten und Hinweise gibt es Rufe nach Public-Health-Maßnahmen zur Reduktion des Konsums hochverarbeiteter Lebensmittel9Siehe Nees, S.; Lutsiv, T.; Thompson, H.J.: Ultra-Processed Foods – Dietary Foe or Potential Ally? Nutrients 2024, 16, 1013. https://doi.org/10.3390/nu16071013 oder auch Adams J, Hofman K, Moubarac J, Thow A M. Public health response to ultra-processed food and drinks BMJ 2020; 369 :m2391 doi:10.1136/bmj.m2391., aber auch Kritik, da die bislang vorliegende Evidenz wesentlich auf Beobachtungsstudien und einem kurzfristigen Experiment beruht. Möglicherweise, so das deutsche Bundeszentrum für Ernährung BZfE in ihrem Beitrag über Hochverarbeitete Lebensmittel und ernährungsmitbedingte Erkrankungen (202110https://www.bzfe.de/ernaehrung-im-fokus/unsere-highlights/hochverarbeitete-lebensmittel-und-ernaehrungsmitbedingte-erkrankungen/.), könnten die beobachteten Effekte nicht dem Verarbeitungsgrad selbst zuzuschreiben sein, sondern Lebensmitteln, die sich in Interventionsstudien bereits als protektiv für ernährungsmitbedingte Erkrankungen erwiesen haben.11Den Ausführungen von Ludwig et al. zufolge (Ludwig DS, Astrup A, Bazzano LA, Ebbeling CB, Heymsfield SB, King JC, Willett WC. Ultra-Processed Food and Obesity: The Pitfalls of Extrapolation from Short Studies. Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):3-4. DOI: 10.1016/j.cmet.2019.06.004) verzehrten die Teilnehmer*innen im weiter oben erwähnten Experiment von Hall et al. (2019) während der 14 Tage mit Zugang zu hoch verarbeiteten Lebensmitteln deutlich mehr Kohlenhydrate und Zucker, gesättigte Fette und Salz sowie weniger Protein, mehrfach ungesättigte Fettsäuren und lösliche Ballaststoffe als während der Phase mit Zugang zu kaum verarbeiteten Lebensmitteln. Gleichwohl gibt es auch den Verdacht, dass Kritiker*innen dieses Konzepts der Industrie nahestünden.12Vgl. Melissa Mialon, Fabio da Silva Gomes: Public health and the ultra-processed food and drink products industry: Corporate political activity of major transnationals in Latin America and the Caribbean. Public health and the ultra-processed food and drink products industry: Corporate political activity of major transnationals in Latin America and the Caribbean. Public Health Nutrition 22(10):1-11, March 2019, 22(10):1-11. DOI:10.1017/S1368980019000417; Mialon, M., Mialon, J., Calixto Andrade, G., & Jean-Claude, M. (2020). ‘We must have a sufficient level of profitability’: food industry submissions to the French parliamentary inquiry on industrial food. Critical Public Health30(4), 457–467. https://doi.org/10.1080/09581596.2019.1606418.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Monteiro, C. A., Cannon, G., Levy, R., Moubarac, J. C., Jaime, P., Martins, A. P., … & Parra, D. (2016). NOVA. The star shines bright. World Nutrition7(1-3), 28-38. https://worldnutritionjournal.org/index.php/wn/article/view/5; Monteiro CA, Cannon G, Moubarac JC, Levy RB, Louzada MLC, Jaime PC. The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra-processing. Public Health Nutr. 2018 Jan;21(1):5-17. DOI: 10.1017/S1368980017000234.
  • 2
    Vandevijvere S, Jaacks LM, Monteiro CA, Moubarac JC, Girling-Butcher M, Lee AC, Pan A, Bentham J, Swinburn B. Global trends in ultraprocessed food and drink product sales and their association with adult body mass index trajectories. Obes Rev. 2019 Nov;20 Suppl 2:10-19. DOI: 10.1111/obr.12860.
  • 3
  • 4
    „Hochverarbeitete Lebensmittel und ernährungsmitbedingte Erkrankungen“ in Ernährung im Fokus 2/2021, https://www.bzfe.de/ernaehrung-im-fokus/unsere-highlights/hochverarbeitete-lebensmittel-und-ernaehrungsmitbedingte-erkrankungen/
  • 5
    Hall KD et al.: Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):67-77.e3. DOI: 10.1016/j.cmet.2019.05.008.
  • 6
    Vor allem Feinbäckerei und Softdrinks sind hier prominent vertreten.
  • 7
    Mertens E, Colizzi C, Pnalvo JL: Ultra-processed food consumption in adults across Europe. EJN (2021) 61: 1521-153 https://link.springer.com/article/10.1007/s00394-021-02733-7.
  • 8
    Länder mit einem höheren Zuckerkonsum meldeten auch einen höheren Energieanteil aus UPFDs.
  • 9
    Siehe Nees, S.; Lutsiv, T.; Thompson, H.J.: Ultra-Processed Foods – Dietary Foe or Potential Ally? Nutrients 2024, 16, 1013. https://doi.org/10.3390/nu16071013 oder auch Adams J, Hofman K, Moubarac J, Thow A M. Public health response to ultra-processed food and drinks BMJ 2020; 369 :m2391 doi:10.1136/bmj.m2391.
  • 10
  • 11
    Den Ausführungen von Ludwig et al. zufolge (Ludwig DS, Astrup A, Bazzano LA, Ebbeling CB, Heymsfield SB, King JC, Willett WC. Ultra-Processed Food and Obesity: The Pitfalls of Extrapolation from Short Studies. Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):3-4. DOI: 10.1016/j.cmet.2019.06.004) verzehrten die Teilnehmer*innen im weiter oben erwähnten Experiment von Hall et al. (2019) während der 14 Tage mit Zugang zu hoch verarbeiteten Lebensmitteln deutlich mehr Kohlenhydrate und Zucker, gesättigte Fette und Salz sowie weniger Protein, mehrfach ungesättigte Fettsäuren und lösliche Ballaststoffe als während der Phase mit Zugang zu kaum verarbeiteten Lebensmitteln.
  • 12
    Vgl. Melissa Mialon, Fabio da Silva Gomes: Public health and the ultra-processed food and drink products industry: Corporate political activity of major transnationals in Latin America and the Caribbean. Public health and the ultra-processed food and drink products industry: Corporate political activity of major transnationals in Latin America and the Caribbean. Public Health Nutrition 22(10):1-11, March 2019, 22(10):1-11. DOI:10.1017/S1368980019000417; Mialon, M., Mialon, J., Calixto Andrade, G., & Jean-Claude, M. (2020). ‘We must have a sufficient level of profitability’: food industry submissions to the French parliamentary inquiry on industrial food. Critical Public Health30(4), 457–467. https://doi.org/10.1080/09581596.2019.1606418.