„N-of-1“-Studien („N=1“-Studien)
Nicht für alle Fragestellungen zur Wirksamkeit eines Medikaments oder einer Behandlungsmethode kann eine „klassische“ randomisierte Placebo-kontrollierte klinische Studie durchgeführt werden, z.B. wenn es darum geht, ob eine bestimmte, kleine Personengruppe bzw. Einzelpersonen, die vom „Durchschnitt“ abweichen, von einem Medikament, von einer Behandlung profitieren. Zu diesem Zweck kann eine „N=1“-Studie („N-of-1“-Studie, Einpersonen-Studie) an Einzelpersonen durchgeführt werden.1Es gibt Bestrebungen, digitale Plattformen zu entwickeln, die es z.B. Ärzt*innen ermöglichen sollen, derartige Studien an Einzelpersonen in ihren Ordinationen durchzuführen.
Fischer & Hummers-Pradier schreiben dazu: Gerade in der hausärztlichen Praxis steht man häufig vor der Problematik, ob die bekannte wissenschaftliche Evidenz auf den konkreten, individuellen Fall übertragbar ist. Allzu oft beruht diese wissenschaftliche Evidenz auf fallzahlstarken randomisierten Kontrollstudien mit Patienten, deren Beschwerdespektrum und biometrische Daten weit von der hausärztlichen Realität entfernt sind (z. B. zu junge, selten multimorbide Patient*innen). Zudem stellen die „harten“ Endpunkte vieler Studien wie Infarkt oder Tod eine eher abstrakte, nicht selten sogar negierte Bedrohung für viele, gerade ältere Patient*innen dar.2T. Fischer & E. Hummers-Pradier: „N-of-1“-Studie – Ein mögliches Studienkonzept für die Allgemeinmedizin? Z Allg Med 2005; 81: 180 – 182. DOI 10.1055/s-2005-836353; https://www.researchgate.net/publication/242731442.
Für symptomorientierte Therapieansätze, so Fischer & Hummers-Pradier, liegen deutlich weniger methodisch hochwertige Kontrollstudien vor, weshalb aus hausärztlicher Sicht […] so häufig nur der Behandlungsversuch bleibt. d.h. die Patienten werden im Therapieverlauf zu ihrer eigenen Einschätzung zur Symptomatik befragt und die Therapie gegebenenfalls modifiziert. Dieses Vorgehen entspricht einer Beobachtungsstudie, die jedoch eine Reihe von Nachteilen aufweist:.3Nach T. Fischer & E. Hummers-Pradier: „N-of-1“-Studie – Ein mögliches Studienkonzept für die Allgemeinmedizin? Z Allg Med 2005; 81: 180 – 182. DOI 10.1055/s-2005-836353; https://www.researchgate.net/publication/242731442.
- Plazebo-Effekt (als bedeutsamer Confounder)
- sekundäre Effekte der Medikation (z. B. kann die häufig beobachtete Euphorie unter Kortisonmedikation Studienergebnisse beeinträchtigen)
- der natürliche Krankheitsverlauf kann gerade bei phasenhaft verlaufenden Krankheiten die Ergebnisse beeinflussen
- unkontrollierte Interaktionen (z. B. mit nichtverschreibungspflichtigen Medikamenten, über deren Einnahme der*die behandelnde Ärzt*in möglicherweise keine Informationen verfügt)
- die Erwartungen sowohl von Patient*innen aber auch Ärzt*innen können dazu führen, dass beide einander nicht enttäuschen wollen und Effekte daher überbewertet werden
- nur selten werden Auslassversuche unternommen, um die Wirkung zu überprüfen
Diese Probleme soll die „N-of-1“-Studie vermeiden, wobei sie sich in der Intention wesentlich von randomisierten Kontrollstudien (RCTs) unterscheidet, denn während RCTs die Frage beantworten, ob „eine Behandlung x verglichen mit der Behandlung y in einer definierten Population hilfreich ist“, untersuchen „N-of-1“-Studien die Frage, ob „eine Therapie bei einem individuellen Patienten hilfreich ist.“4T. Fischer & E. Hummers-Pradier: „N-of-1“-Studie – Ein mögliches Studienkonzept für die Allgemeinmedizin? Z Allg Med 2005; 81: 180 – 182. DOI 10.1055/s-2005-836353; https://www.researchgate.net/publication/242731442.
Eine wichtige Voraussetzung für „N-of-1“-Studien ist die doppelte Verblindung. Die Behandlungssequenzen (Plazebo – Verum) müssen zudem randomisiert werden, wobei üblicherweise nur zwei Therapieoptionen miteinander verglichen werden.5Theoretisch sind mehrere Optionen überprüfbar, was jedoch die Anzahl der für eine valide Aussage notwendigen Zyklen und damit die logistischen Probleme deutlich erhöht. Mindestens 3 Behandlungszyklen werden als notwendig angesehen, um die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass nicht-therapiebedingte Effekte zu falschen Schlussfolgerungen verleiten.6Mehr Behandlungszyklen sind notwendig, wenn der zu erwartende Effekt der Therapie im Verhältnis zur normalen Fluktuation des Krankheitsverlaufs moderat ausfällt , Die Ergebnis-Kriterien müssen reliabel, valide und vor dem Versuch definiert sein. Zudem müssen sie in einen sinnvollem zeitlichen Zusammenhang zur Intervention gemessen werden7Auswaschphasen von Medikamenten müssen ebenso berücksichtigt werden wie mögliche Effekte (bzw. Nebenwirkungen) durch den Beginn oder das Absetzen der Therapie.
Nachteile und Probleme von „N-of-1“-Studien
Der logistische Aufwand solcher Studien ist (häufig) groß. Zum einen müssen geeignete Personen gefunden und aufgeklärt weden, zudem benötigt man externe Unterstützung bei Verblindung und Randomisation sowie (bei Arzneimittelstudien) durch Pharmazeut*innen bei der Herstellung optisch möglichst identischer Verum- und Plazebomedikamente.
Ein wesentlicher Nachteil von „N-of-1“- Studien ist die fehlende Generalisierbarkeit der Ergebnisse: Die Resultate eines*einer Patient*in erlauben aufgrund der Vielzahl möglicher Confounder keine Übertragung der Ergebnisse auf Andere (umgekehrt ist aber gerade die Heterogenität der Patient*innen häufig Anlass für die Durchführung von „N-of-1“-Studien).8Dieser fehlenden Möglichkeit zur Extrapolation der Ergebnisse wird von einigen Forscher*innen das Konzept multipler „N-of-1“- Studien entgegengesetzt. Dabei werden die Ergebnisse vieler Studienteilnehmer*innen zusammengefasst, bei denen jeweils randomisiert und kontrolliert mehrere Behandlungszyklen durchgeführt worden waren..
Anmerkungen/Fußnoten
- 1Es gibt Bestrebungen, digitale Plattformen zu entwickeln, die es z.B. Ärzt*innen ermöglichen sollen, derartige Studien an Einzelpersonen in ihren Ordinationen durchzuführen.
- 2T. Fischer & E. Hummers-Pradier: „N-of-1“-Studie – Ein mögliches Studienkonzept für die Allgemeinmedizin? Z Allg Med 2005; 81: 180 – 182. DOI 10.1055/s-2005-836353; https://www.researchgate.net/publication/242731442.
- 3Nach T. Fischer & E. Hummers-Pradier: „N-of-1“-Studie – Ein mögliches Studienkonzept für die Allgemeinmedizin? Z Allg Med 2005; 81: 180 – 182. DOI 10.1055/s-2005-836353; https://www.researchgate.net/publication/242731442.
- 4T. Fischer & E. Hummers-Pradier: „N-of-1“-Studie – Ein mögliches Studienkonzept für die Allgemeinmedizin? Z Allg Med 2005; 81: 180 – 182. DOI 10.1055/s-2005-836353; https://www.researchgate.net/publication/242731442.
- 5Theoretisch sind mehrere Optionen überprüfbar, was jedoch die Anzahl der für eine valide Aussage notwendigen Zyklen und damit die logistischen Probleme deutlich erhöht.
- 6Mehr Behandlungszyklen sind notwendig, wenn der zu erwartende Effekt der Therapie im Verhältnis zur normalen Fluktuation des Krankheitsverlaufs moderat ausfällt ,
- 7Auswaschphasen von Medikamenten müssen ebenso berücksichtigt werden wie mögliche Effekte (bzw. Nebenwirkungen) durch den Beginn oder das Absetzen der Therapie.
- 8Dieser fehlenden Möglichkeit zur Extrapolation der Ergebnisse wird von einigen Forscher*innen das Konzept multipler „N-of-1“- Studien entgegengesetzt. Dabei werden die Ergebnisse vieler Studienteilnehmer*innen zusammengefasst, bei denen jeweils randomisiert und kontrolliert mehrere Behandlungszyklen durchgeführt worden waren.