Kritik an Trend zu Hands-off-Behandlung in der Physiotherapie. Studie belegt die schmerzlindernde und funktionsverbessernde Wirkung von Massage bei chronischen Rückenproblemen

Inhalt

Studienergebnisse

Die Studienautor*innen schließen aus ihren Ergebnissen, dass die klassische Massagetherapie als eine wissenschaftlich begründete Therapieoption bei der Behandlung von Patient*innen mit chronischen Rückenschmerzen und Funktionsstörungen betrachtet werden kann und empfehlen, um sie bestmöglich anzuwenden, ihre Kurzzeitwirkung zu nutzen, da die Senkung des Muskeltonus zu einer Schmerzreduzierung und in der Folge zu erleichterter Bewegung führen kann. Dass wiederum, so führen sie weiter aus, vermittelt Patient*innen ein besseres Bewegungsgefühl und eine verbesserte Funktion und kann gut als vorbereitende Behandlung für weitere aktivierende Maßnahmen, wie Übungen und Trainingstherapie, genutzt werden.

Einschränkend halten die Studienautor*innen fest, dass die vorliegende Studie lediglich einen Zwischenstand der Forschung darstellt (darstellen kann) und regen weitere Forschung an, um die Klassische Massagetherapie auch im Kontext personalisierter Versorgungskonzepte weiter zu überprüfen. Dazu führen sie darüber hinaus aus, dass in künftigen Studien die Therapiezeit, die Anzahl der Behandlungseinheiten, ihre Frequenz, Massagegriffe und die Behandlungstechnik klar definiert werden sollten. Ebenso sind beeinflussende Faktoren, wie z.B. Umgebungsbedingungen und Patient*innenpräferenzen, zu beachten. Auch sollten die dabei verwendeten Assessments¹ subjektive und objektive Daten erfassen, wie z.B. Lebensqualität, Medikamentenverbrauch, Alltagsaktivitäten (ADL).

Kritische Anmerkungen zu den erfassten Studien

Bellido-Fernández et al.² gehen davon aus, dass eine größere Versuchsgruppe eine größere Evidenz ergeben hätte. Die Interventionen waren nicht standardisiert und Angaben zur Medikamenteneinnahme fehlten.
Sritooma et al.³ präsentieren eine Studie, die den analgetischen Effekt von Ginger(Ingwer)öl untersucht. Sie entschieden sich zugunsten einer größeren Gruppengröße für zwei Interventionsgruppen, weshalb eine Placebogruppe fehlt.
Majchrzycki et al.⁴ empfehlen, bei künftigen Studien unterschiedliche Assessments zu verwenden, um ein objektives Testergebnis zu erhalten, z.B. Funktionstest und/oder Test zu ADL⁵. Sie geben zu bedenken, dass die verwendeten Schmerz-Assessments lediglich Daten zur subjektiven Selbstevaluation der Patientinnen liefern und schätzen die Wirkung von NSAID⁶ als fragwürdig ein.
Zheng et al. ⁷ gehen davon aus, dass größere Fallzahlen und Langzeitbeobachtung reliable⁸ Ergebnisse liefern. Sie bemängeln fehlende objektive und quantitative Assessments.
Cherkinet al.⁹ halten fest, dass Faktoren, wie z.B. entspannte Umgebung, berührt werden, Interaktion/Zuwendung durch Therapeut*innen, Achtsamkeitsübung und verbessertes Körperbewusstsein, berücksichtigt werden müssen, da sie den Behandlungserfolg beeinflussen können. Die Wirkungsweise bleibt unklar, d.h. es konnte kein spezifischer Effekt beschrieben werden. Künftige Studien sollten nicht-spezifische Kontextfaktoren und spezifische Behandlungseffekte in Bezug zu den Outcomes untersuchen.
Chou et al.¹⁰ betonen, dass Interventionen für alle Patient*innen zugänglich und erschwinglich sein müssen und empfehlen daher, ausschließlich effektive und evidente Therapien durchzuführen. Um die optimale Reihenfolge sowie die Priorisierung der Therapien zu evaluieren, sollten weitere Studien erfolgen. Entscheidende Bezugspunkte für die Behandlungsempfehlung seien Kosten, Verfügbarkeit der Interventionen sowie kulturelle und Patient*innenpräferenzen.
Kumar et al.¹¹ führen an, dass die geringe Qualität darauf zurückzuführen ist, dass in der klinischen Praxis Massage mit Edukation¹² und weiteren Behandlungsmodalitäten kombiniert wird. Zudem erschwert die Heterogenität der Studien bezüglich Massageform, Anwendung und Therapiedauer die Vergleichbarkeit. Aus diesem Grund (überwiegend schwache Qualität der Studien) geben die Autor*innen die Empfehlung, die Ergebnisse mit Bedacht zu verwenden.
Chambers ¹³ sieht die geringe Anzahl (4) der enthaltenen Massagestudien als eine methodische Schwäche des Reviews. Zudem enthalten die Studien unterschiedliche Assessments sowie verschiedene Massagetechniken, z.B. schwedische Massage, Thai-Massage, tiefe Techniken, Triggerpunktmassage, „myofascial release“, was die Vergleichbarkeit der Studien erschwert. Dennoch konnte die Autorin eine größere Evidenz für die Massagetherapie bei der Kurzzeitbeobachtung beobachten.
Sritooma et al.¹⁴ erfassten Studien zwischen 2000 und 2011¹⁵, wobei (als methodische Limitation) 3 Studien keine Kontroll- oder Placebogruppe und eine kleine unverblindete Teilnehmerzahl hatten. Langzeituntersuchungen fehlten ebenfalls und Medikamentenverbrauch und Nebeneffekte wurden nicht in jeder Studie beschrieben. Zudem wurde der Einfluss auf die psychische Gesundheit unzureichend untersucht.

Anmerkungen/Fußnoten

1
Unter einem Assessment versteht man in der Medizin die systematische Erfassung und Bewertung des Gesundheitszustandes eines Patienten – meist unter Zuhilfenahme bestimmter Messwerte.
2
Bellido-Fernández L, Jiménez-Rejano JJ, Chillón Martinez R, Gómez-Benitez MA, De-La-Almeida M, Rebollo-Salas M (2018): Effectiveness of massage therapy and abdominal hypopressive gymnastics in nonspecific chronic low back pain. Evid Based Complement Alternat Med. https://doi.org/10.1155/2018/3684194.
3
Sritoomma N, Moyle W, Cooke M, O’Dwyer S (2014): The effectiveness of swedish massage with aromatic ginger oil in treating chronic low back pain in older adultes. Complement Ther Med 22(1):26–33. https://doi.org/10.1016/j.ctim.2013.11.002.
4
Majchrzycki M, Kocur P, Kotwicki T (2014): Deep tissue massage and nonsteroidal antiinflammatory drugs for low back pain. SciWorldJ. https://doi.org/10.1155/2014/287597.
5
Der ADL-Score ist ein Verfahren zur Messung der Alltagskompetenz (Activities of Daily Living) von Patient*innen und wird auch zur Bewertung der Pflegebedürftigkeit herangezogen.
6
NSAID (Non steroidal anti inflammatory drug(s) oder auch Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind Medikamente, die schmerzlindernd, entzündungshemmend und fiebersenkend wirken.
7
Zheng Z, Wang J, Gao Q, Hou J, Ma L, Jiang C, Chen G (2012): Therapeutic evaluation of lumbar tender point deep massagefor chronic non-specific low back pain. J Tradit Chin Med 32(4):534 – 537.
8
Reliabilität („Verlässlichkeit“) bezieht sich darauf, ob eine Forschung bei wiederholter Durchführung zuverlässige Ergebnisse liefert.
9
Cherkin DC, Sherman KJ, Kahn J, Wellman R, Cook AJ, Johnson E, Erro J, Delaney K, Deyo RA (2011): A comparison of the effects of 2 types of massage and usual care on chronic low back pain. Ann Intern Med 155(1):1–9. https://doi.org/10.1059/0003-4819-155-1-201107050-00002.
10
Chou R, Côté P, Randhawa K, Torres P, Yu H, Nordin M, Hurwitz EL, Haldeman S, Cedraschi Ch (2018): The global spine care initiative: applying evidence based guidlines on the non-invasive management of back and neck pain to low-and-middle-income communities. EurSpine J27 (Suppl 6):851–860.https://doi.org/10.1007/s00586-0175433-8
11
Kumar S, Beaton K, Hughes T (2013): The effectiveness of massage therapy for the treatment of nonspecific low back pain. Int J Gen Med 6:733–741.
12
Edukation: Belehrung, Erziehung.
13
Chambers H(2013): Physiotherapy and lumar facet joint injections as a combination treatment for chronic low back pain. A narrative review of lumbar facet joint injections, lumbar spinal mobilizations, soft tissue massage and lower back mobility exercises. Musculoskelet Care11:106–120
14
Sritoomma N, Moyle W, Cooke M, O’Dwyer S (2012): The effectiveness of Swedish massage and traditional Thai massage in treating chronic low back pain: a review of the literature. Complement Ther Clin Pract18(4):227–234.https://doi.org/10.1016/j.ctcp.2012.07.001
15
Vor dem Jahr 2000 gab es keine Studien zur Effektivität der Massagetherapie.

Pages: 1 2 3