Ist Heilmassage eine wirksame Maßnahme oder nur eine Ergänzung der Aktivbehandlung? (Podiumsdiskussion am 24.01.2018)

Heilmassage

Herr Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp MBA (Gesundheitsökonom und Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der AK NÖ) geht auf das Problem der Evidenz ein: Dass in Studien klarerweise nur das geschrieben steht, was erforscht wurde. In Kanada gab es in den Autobussen im Winter einen Spruch, der sinngemäß besagte, dass man den AllgemeinmedizinerInnen nicht auf die Nerven gehen sollte, sondern bei einem grippalen Infekt eine Hühnersuppe essen. Eine Evidenz für die Wirksamkeit von Hühnersuppe gibt es zwar nicht, aber das verbindet sie mit vielen Bereichen der Medizin. Einer Studie im British Medical Journal zufolge weiß man für die Hälfte der 3000 gängigsten Diagnosen nicht, ob das, was von den ÄrztInnen getan wird, mehr nutzt als schadet. Und auch bei der anderen Hälfte ist es teilweise unklar. Der Begriff der Evidenz sollte deshalb nicht überstrapaziert werden und der sogenannte Goldstandard in der Evidenz, die doppelblind randomisierte Studie, ist für manche Methoden nicht (einfach) anzuwenden.

Was die Massage betrifft, so ist die Studienlage nicht berauschend, das liegt aber auch daran, dass die Lobby der Masseur*innen nicht stark ist und bedeutet nicht, dass Massage nicht wirkt. Ähnliches gilt ja auch für Topfenwickel oder Essigpatscherln bei kleinen Kindern. Und es ist eindeutig unfair von der Massage eine Evidenz zu verlangen, die von der Hälfte der Medizin nicht geleistet wird. Deshalb sei es gut, dass zwei Expert*innen aus der Medizin am Podium sind, die aus der täglichen Praxis berichten können. Es ist nämlich keinesfalls außer Acht zu lassen, wie Mediziner*innen – unabhängig von den wenigen existierenden Studien – die Anwendung von Massage sehen, denn auch das zählt, was die Praxis zeigt.

Aus der Sicht der Gesundheitsökonomie geht es auch im Gesundheitsbereich um Märkte und in Österreich sind das Substitutionsproblem und das Problem der Konkurrenz nur sehr unbefriedigend gelöst. Es gibt das nicht zu unterschätzende Thema des Ersatzes einer Berufsgruppe durch eine andere, und den Marktmechanismus des „wir wollen ein größeres Stück vom Kuchen“. Das sollte klar in die Diskussion eingebracht werden – ohne sich hinter nicht vorhandenen Studien und Evidenz zu verschanzen. Die Ansprüche, ökonomischen Überlegungen und Hintergründe und wie dieses Feld vernünftig aufgeteilt werden sollte, sind offen auf den Tisch zu legen. Dabei wäre eher eine standespolitische als eine evidenz- oder wirksamkeitsorientierte Diskussion erforderlich – und keine verschleierten Diskussionen, die das Wesen der Dinge verdecken, und zum Teil gerade deshalb möglich sind, weil medizinisch so wenig Evidenz vorliegt und deshalb Glaubenskriege ausgefochten werden können.

Unterschätzt wird auch die Frage, ob Massage allein der Steigerung des Wohlbefindens dient. Aus ökonomischer Sicht ist dazu zu sagen, dass 80% der Kosten der Sozialversicherungen durch chronisch Kranke entstehen, wo viele Formen der Therapie und Unterstützung Sinn machen. Und bei der Messung von Wirkungen sollte auch die gesundheits- und krankheitsbezogene Lebensqualität einbezogen werden.

In Hinblick auf berufspolitische Aspekte ist nicht außer Acht zu lassen, dass auf der einen Seite staatlich geplante Ausbildungsstellen für Physiotherapeut*innen geschaffen werden (wobei sich keinerlei klaren Bedarfszahlen, weder national noch international, berechnen lassen) und auf der anderen Seite ein gewerblicher Bereich existiert, wo Menschen zum Teil viel Geld in ihre Ausbildung investieren. Und ihnen wird dann gesagt, dass sich das alles nicht bewährt. Es sollte vorab geklärt werden, was man in welchem Ausmaß braucht. Und es braucht eine faire Diskussion der Berufe. Diese ist zugegebenermaßen schwierig, denn für jeden Gesundheitsberuf gibt es mindestens eine gewerbliche Alternative, einen „Schattenberuf“. Dazu kommt, dass engagierte Leute, die ins Masseur*innengeschäft einsteigen und sich dann gerne weiterentwickeln möchten, z.B. über die Fachhochschulreife in Richtung Physiotherapie, häufig über Deutschland ausweichen, weil es dort leichter, die modulare Durchlässigkeit in Österreich hingegen endendwollend ist.

Es ist hoch an der Zeit über viele dieser Probleme zu reden, hier gibt es Nachholbedarf. Wichtig ist ein offenes Gespräch, das zum Kern der Sache kommt und auf einer intakten Gesprächsbasis aufbaut. In der Praxis, so kam es aus dem Publikum, funktioniert die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe gut und zugleich schließt sich Herr Dr. Rupp den Aussagen von Frau Schöberl an, dass es auch um eine Frage der Wertschätzung durch das Systems geht. Hier ist Aufmerksamkeit von Seiten der Sozialversicherung erforderlich, dass sich nicht immer mehr Berufe in diesem System nicht wohlfühlen.

Es gilt aufpassen, dass unser System nicht den Anschluss an das 21. Jahrhundert verliert und wir wirklich eine Zwei-Klassen-Versorgung bekommen einerseits und andererseits als öffentliches System so unattraktiv werden, dass viele nicht mehr mitmachen. Und es gilt aufzupassen, dass eine bestimmte Politik nicht einen Mangel erzeugt, der später zu teuren Reparaturmaßnahmen führt.

Wir sollten keine Hahnenkämpfe gegeneinander führen, Verteilungskämpfe, während wir es am anderen Ende mit börsennotierten Unternehmen zu tun haben, die uns mit exorbitant hohen Medikamentenpreisen bedrohen. Während wir darüber streiten, ob 2 Euro oder 2,50 Euro refundiert werden, haben wir zugleich eine Entwicklung, wo ein Therapiezyklus 400.000, 500.000 oder 600.000 Euro kostet. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht am falschen Ende zerfleischen und die Gesamtentwicklung außer Acht lassen. Das System muss leistbar bleiben und attraktiv sein für Patient*innenen ebenso wie für alle, die im System mitarbeiten sollen.

Herr Dr. Rupp warnt vor einer Entwicklung, in der die Menschen die geringfügige Rückvergütung überhaupt nicht mehr interessiert, sie auf das staatliche System pfeifen und lieber eine private Versicherung abschließen. Und es braucht auch Karrieremöglichkeiten an allen Ecken und Enden und Durchlässigkeit für Berufsgruppen, wenn jemand die Begeisterung an der Medizin oder die Liebe zum Menschen entdeckt hat. Dann soll es ihr möglich sein, dieser Begeisterung zu folgen und gute Bedingungen vorfinden, um von ihrer Arbeit auch leben zu können. Und es wäre wünschenswert, würde in Österreich ein Beitrag geleistet, um Evidenz zu generieren – nicht nur im Bereich von Massage, da auch in der Physiotherapie die Evidenzlage nicht viel besser ist.

Die Kernpunkte von Frau Silvia Kollos-Bochdansky, Physiotherapeutin und Lehrtherapeutin in Vorarlberg, die krankheitsbeding kurzfristig als Diskussionsteilnehmerin ausfiel, werden von der Moderatorin eingebracht: Für sie steht das Patient*innenwohl absolut im Mittelpunkt und Massage ist unter bestimmten Bedingungen – ähnlich in der Argumentation wie Dr. Zauner-Dungl und Dr. Ebenbichler – sehr wohl eine eigenständige Behandlung.

Aus dem Publikum berichtet Frau Sigrid Wessiak, Pressesprecherin vom Bundesverband der Heilmasseur*innen, dass ihr im Hauptverband beschieden worden sei, dass Heilmasseur*innen nicht benötigt würden, da die Arbeit des*der Heilmasseur*in von Physiotherapeut*innen übernommen werde. Die SGKK wäre damit jetzt die erste, die das umsetzt und Heilmasseur*innen sind in ihrer Existenzgrundlage gefährdet – eine Ansicht, die auch andere im Saal anwesende Heilmasseur*innen teilen.

Herr Dr. Manfred Zauner führt aus, dass in seinem Berufsalltag viele Patient*innen, wenn ihre Schmerzen besonders stark sind, zuerst eine Massage mit muskellockernden, detonisierenden Griffen benötigen, bevor sie einer gezielten Physiotherapie zugeführt werden können. Das allerdings widerspricht dem Überwiegen der Aktivtherapie, wie es das Salzburger Tarifmodell fordert, das zu einem Engpass und zu Kostensteigerung führen wird, weil langfristig mit den Physiotherapeut*innen allein nicht genügend Kapazitäten vorhanden sind.

Auch Heilmasseur*innen sind verpflichtet eine Befundung durchzuführen, um bestmöglich zu behandeln. Und wenn es um das Patient*innenwohl geht, dann sollten Masseur*innen eingebunden werden, denn diese haben die Massage besser gelernt als Physiotherapeut*innen. Auch greift Dr. Zauner nochmals das Thema des wertschätzenden Umgangs miteinander auf, wobei auch ein wertschätzender und angepasster Rückerstattungssatz wünschenswert, ja gerechtfertigt wäre.

Herr Rudolf Hannes Enzinger, Landesinnungsmeister in Salzburg, berichtet, dass das neue Tarifmodell der SGKK anfangs große Unsicherheit bei den Heilmasseur*innen mit sich brachte, vor allem weil die Umstellung sehr rasch erfolgte. Hier hat sich die Situation mittlerweile etwas verbessert.

Schon die bisherige Bezuschussung von zwei Euro pro Heilmassage zeigte eine Schlechterstellung der Heilmasseur*innen gegenüber den Physiotherapeut*innen, die eine deutlich höhere Rückerstattung bekommen. Nun aber werden selbst diese zwei Euro nicht mehr gewährt, was nicht nachzuvollziehen ist und für die Patient*innen von Heilmasseur*innen eine klare Benachteiligung mit sich bringt.

Lymphdrainage ist allerdings nach wie vor im Salzburger Tarifmodell enthalten und ein*e Heilmasseur*in kann eine PT1-Verordnung für Lymphdrainage verwenden. Auch die Rückerstattung dafür ist unverändert geblieben, wobei die bekannten Unterschiede zwischen der Rückerstattung bei dem*der Masseur*in und dem*der Physiotherapeut*in weiterhin bestehen und „weh tun“. Zur Richtigstellung sei auch noch zu erwähnen, dass ein*e Heilmasseur*in sehr wohl eine Heilmassage im Zuge einer PT1-Verordnung durchführen kann, allerdings ist die Kostenrückerstattung gestrichen worden.

Landesinnungsmeisterin Petra Felber bedankt sich abschließend nochmals bei allen Anwesenden, ihr Engagement und ihr Kommen.

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