Ist Heilmassage eine wirksame Maßnahme oder nur eine Ergänzung der Aktivbehandlung? (Podiumsdiskussion am 24.01.2018)
Frau Mag. Gabriele Wieser-Fuchs (Bereichsdirektorin der Salzburger Gebietskrankenkasse, SGKK) erläutert das „Salzburger Modell“. Hintergrund ist, dass die SGKK traditionell ein hohes Leistungsvolumen im Bereich Physiotherapie aufweist und schon vor einiger Zeit eine Vereinbarung mit der Salzburger Ärztekammer geschlossen hat, bei der Verordnung von Physiotherapie den Schwerpunkt auf Aktivtherapie zu legen.
Die Umsetzung dieser Vereinbarung erfolgte mit den Leistungserbringern der Physiotherapie, d.h. Vertreter*innen der WK Salzburg für die Physioambulatorien und von Physio Austria Salzburg. Mit dem neuen Leistungskatalog wurde der Einzelleistungskatalog gestrafft und durch Zeiteinheiten ersetzt. Die Standardposition (PT1) umfasst 45 Minuten mit explizitem Schwerpunkt Physiotherapie, so dass zumindest 30 Minuten dieser Zeiteinheit mit dem*der Patient*in aktiv gearbeitet werden muss. Ergänzend kann und soll die Therapeut*in entscheiden, welche Passivtherapien geeignet und notwendig sind.
Die frühere Einzelleistung Teilmassage gibt es nun nicht mehr, nur noch als Maßnahme innerhalb des Spektrums der Passivtherapien. Jede*r Physiotherapeut*in kann somit entscheiden, in welchem Fall, Massage indiziert ist, wobei in Physioambulatorien die Massagen auch von medizinischen und/oder Heilmasseur*innen erbracht werden können. Der Vorteil des neuen Modells liegt für die SGKK in einer hochwertigeren Behandlung, weil der Fokus auf der Aktivtherapie liegt und der*die Therapeut*in flexibel auf den Behandlungsverlauf eingehen kann. Zudem ist eine mindestens 45 minütige Behandlung garantiert und die Abrechnung vereinfacht.
Die Einfachheit des Systems unterstützt verordnende Ärzt*innen, da vor allem Allgemeinmediziner*innen der Meinung sind, dass Physiotherapeut*innen besser beurteilen können, welche Maßnahmen im konkreten Behandlungsverlauf am sinnvollsten sind. Ärzt*innen, vor allem aber Fachärzt*innen für Physikalische Medizin haben zusätzlich die Möglichkeit, am Verordnungsschein ergänzend anzumerken, welche konkrete Maßnahme erbracht werden soll.
Frau Mag. Wieser-Fuchs ist sich bewusst, dass Heilmasseur*innen dem neuen Modell kritisch und verunsichert gegenüberstehen, ersucht aber um Verständnis, dass sich die SGKK bei ihren Überlegungen auf wissenschaftliche Erkenntnisse und entsprechende Fachexpert*innen beruft und berufen muss. Finanzielle Gründe stehen nicht im Vordergrund der Überlegungen der SGKK, da es sich nur um wenige Verordnungen und geringe Beträge handelt: Salzburger Ärzt*innen haben 2015 (für dieses Jahr sind die Zahlen der SGKK vollständig ausgewertet) in lediglich 1,78% aller (eingereichten) Verordnungen eine Teilmassage allein verordnet. 0,41% davon haben Heilmasseur*innen erbracht. 95% der Verordnungen konnten nicht von Heilmasseur*nnen bearbeitet werden, und nur in 0,84% der Verordnungen waren Heilmasseur*innen involviert.
Den Vorwurf, das „Salzburger Modell“ würde den Beruf des*der Heilmasseur*in „ausradieren“, kann Frau Mag. Wieser-Fuchs nicht nachvollziehen. Da die SGKK den Bereich der Physiotherapie primär mit ihren Vertragspartner*innen regelt und auch die vorliegenden Modelle in Zusammenarbeit mit ihnen entwickelte, ist das Thema Heilmasseur*in gleichsam „plötzlich aufgeschlagen“. Und überhaupt mischen sich ihrer Ansicht nach berufspolitische Themen mit der Frage, wie die SGKK zur Massage steht. Es gab nie die Behauptung, dass Massage unwirksam sei oder dass die SGKK keine Massage wolle. Massage ist eine Leistung, die die SGKK anbietet und ihren Versicherten zur Verfügung stellen will, aber eben in Kombination. Ihr Wunsch ist, dass Verständnis und/oder Nachvollziehbarkeit für die Salzburger Lösung bei den Heilmasseur*innen entsteht.
Frau Romana Schöberl (Präsidentin des Heilmassage-Verbandes BHÖ), die demnächst selbst vom „Salzburger Modell“ betroffen sein wird, hält fest, dass viele ihrer Themen schon angesprochen wurden und betont nochmals, dass Heilmasseur*innen eine sehr gute und geregelte Ausbildung haben, im Bereich der Lymphdrainage beispielsweise 200 Stunden, Physiotherapeut*innen hingegen nur 80 Stunden.
In einer Akutphase wird häufig, z.B. in Zusammenarbeit mit Onkologen, keine Aktivtherapie angewendet. Diese Patient*innen kommen zuerst zum*zur Heilmasseur*in und erst dann zur Physiotherapeut*in. Und sie greift das Thema der Rückvergütung auf: Viele Patient*innen nehmen wegen der geringen Höhe die Refundierung nicht in Anspruch – und diese Verordnungen scheinen bei den Versicherungsträgern deshalb überhaupt nicht auf.
Ihr Wunsch ist eine gute Kommunikation mit den Versicherungsträgern und dass, auch hier in Hinblick auf Wertschätzung, bei Fragen, in denen es um Heilmasseur*innen geht, eine*n kompetente*n Heilmasseur*n einbezogen wird. Ebenso geht es bei den zwei Euro Rückerstattung um Wahrnehmung und Wertschätzung: Wenn eine Leistung nur zwei Euro wert ist, dann ist das keine große Wertschätzung. Wenn gar keine Rückvergütung mehr stattfindet, fehlt sie ganz.
Frau Constance Schlegl MPH (Präsidiumsmitglied Physio Austria) kam anstelle von Frau Meriaux-Kratochvila, die krankheitsbedingt absagen musste, und geht auf die Kompetenz des akademischen Gesundheitsberufs Physiotherapeut*in ein, die Diagnosen verpflichtend erstellen müssen. Die Durchführung der Behandlung erfolgt anschließend eigenverantwortlich und wird mit dem*der Patient*in vereinbart, ebenso etwaige Adaptierungen im Zuge der Behandlung.
Massage ist in der Physiotherapie eine mögliche Maßnahme, die im Bedarfsfall von dem*der Physiotherapeut*in gewählt wird, wobei Physiotherapeut*innen als Leistungserbringer den Richtlinien ökonomischer Krankenbehandlung (RÖK) folgen, d.h. Physiotherapeut*innen sind den aktuellen Leitlinien und der Evidenz verpflichtet. Wird Massage nicht als eigenständige Maßnahme gesehen, wird das von Physiotherapeut*innen berücksichtigt. Damit allerdings werden weder die Wirksamkeit von Massage noch die Qualifikation von Masseur*innen in Frage gestellt.
Frau Schlegl sieht die Anwendung der Massage bei dem*der Heilmasseur*in anders, weil der*die Heilmasseur*in (soweit ihr bekannt sei) keine eigenständige Diagnose erstellt und keinen Behandlungsprozess gestaltet, vielmehr das tut, was ihr durch die ärztliche Anordnung vorgegeben ist. Demgegenüber wählt der*die Physiotherapeut*in selbständig die jeweils passende Maßnahme.
Auch die Evidenz für physiotherapeutische Behandlungen ist in weiten Bereichen nicht großartig, aber international in Leitlinien verankert. Das ist nicht der Lobby der Physiotherapeut*innen geschuldet, und auch in der Physiotherapie gibt es Grenzen, welche Leistungen von den Krankenkassen übernommen werden.
Überrascht ist sie von Verschwörungstheorien, dass es das Ziel von Physio Austria wäre, die Heilmasseur*innen „auszuradieren“. Sie selbst hat Kolleg*innen, die gut und gerne mit Heilmasseur*innen zusammenarbeiten, auch angestellt in der Praxis, weil es Physiotherapeut*innen freisteht, Massagen weiterzugeben. Eigentlich säßen alle im gleichen Boot, da die Lymphdrainage vor zwei Jahren in Wien als Leistungsposition in Frage gestellt und mittlerweile aus dem Leistungskatalog gestrichen wurde.
Die unterschiedliche Höhe der Refundierung ist, so ein Verfassungsgerichtsurteil 2010, durch Unterschiede in Umfang und Dauer der jeweiligen Ausbildung gerechtfertigt. Letztendlich aber ist es immer der*die Patient*in, die den Großteil der Kosten trägt, weil der Wahlbereich gegenüber dem Sachleistungsbereich überwiegt.
Ein guter Schritt wäre die generelle Anhebung der Rückerstattung sowie gemeinsame Forschung zum Thema Outcome-Messungen und Funktionalität. Ihr Wunsch ist, dass Gemeinsamkeit darüber herrscht, dass der*die Patient*in im Mittelpunkt steht. Ein wichtiges Ziel wäre auch, die Gesundheitskompetenz und Eigenverantwortung des*der Patient*in zu stärken, da Schmerz nur ein Symptom ist, das Ergebnis einer nicht optimalen Funktion.