Erweiterung des Konzepts der Salutogenese mit psychotherapeutischen Gesichtspunkten

Gesundheit/Feude

Gesundheit und Krankheit

Der vorrangige Zugang zu Gesundheit und Krankheit ist krankheitsorientiert, wobei der Organismus gleichsam als Maschine verstanden wird, der im Normalfall „Gesundheit“ funktioniert. Funktioniert er nicht mehr, laufen körperliche oder psychisch/seelische Funktionen nicht mehr reibungslos ab, spricht man von Krankheit. Der so objektivierte Körper, die so objektivierte Seele wird daraufhin Ärzt*innen und Therapeut*innnen zur Diagnose und Behandlung „übergeben“. Damit aber entfremden wir uns auf doppelte Weise von Gesundheit und Krankheit, denn sie gehören nicht mehr uns, sondern den Ärzt*innen, und Gesundheit wird auf das Fehlen von Krankheit reduziert.

Eine im Gegensatz dazu stehende Gesundheitsorientierung versteht Gesundheit nicht als einen statischen Zustand, sondern dynamisch als eine „positive“ Bewegung. Nicht Gesundheit als (absoluter) Zustand existiert, vielmehr nur verschiedene Zustände des Wohlbefindens – auf einem Kontinuum zwischen Krankheit und Tod auf der einen und ungetrübtem Wohlbefinden auf der anderen Seite. Gesundheit ist im Verständnis der Salutogenese nach A. Antonovsky  die Dynamik der Bewegung vom „Krankheitspol“ zum „Gesundheitspol“.

Für H.-G. Gadamer  ist Gesundheit eine verborgene Harmonie, die stärker ist als die offenkundige. Wahre Gesundheit, so Gadamer, erkennen wir nicht an der Oberfläche unseres Befindens, sondern ist verborgen in der Art unseres Lebens, unseres In-der-Welt-Seins. Diese verborgene Balance realisiert sich in den Dialektiken, die unser Leben ausmachen: Die Dialektik von „innen“ und „außen“ und die Dialektik von „gut“ und „böse“.

Innen und Außen, Gut und Böse

Unsere innere Welt ist, wie die Psychotherapie in der Tradition der Psychoanalyse Sigmund Freuds herausgearbeitet hat, von der Dialektik von „gut“ und „böse“ durchdrungen. Wir verfügen in unserer inneren Welt über Triebenergien, die die Bindung fördern, und solche, die die Auflösung zum Ziel haben. Der Lebenstrieb (Libido) schafft Bindungen, der Todestrieb (Aggressionstrieb, Destrudo) hingegen hat zum Ziel, bestehende Verbindungen zu lösen. Es ist unsere Aufgabe, diese innere Dynamik in eine Balance zu bringen – und zwar auf eine Art und Weise, dass die lebensfördernden (libidinösen) Kräfte überwiegen. Damit – im positivsten Fall – werden die destruktiven Kräfte nicht nur in Schach gehalten, sondern zu einem integrierten Teil unserer inneren Dynamik und tragen so zu einem erfüllten Leben bei.

„Gut“ und „Böse“ erfahren wir auch von außen als nährende, schützende, befriedigende Einflüsse oder als belastende, angreifende, schädigende und versagende Einwirkungen. Und ebenso müssen wir hier für ein Überwiegen der „guten“ Einflüsse sorgen, um (längerfristig) eine gesunde Balance zu bewahren.

Ansatzpunkte gesundheitsfördernder Interventionen – grundlegende Dialektik unseres LebensGelingt es uns, im Kräftefeld des Lebens eine lebensfördernde Balance herzustellen und zu erhalten, ist unsere verborgene innere Dynamik auf Gesundheit und Lebenserhaltung ausgerichtet und unser Selbst- und Weltverständnis auf realistische Weise optimistisch. Damit verwirklichen wir das, was Antonovsky als positives Kohärenzgefühl  bezeichnet: Wir glauben, dass wir die Welt verstehen und dass wir mit ihr in lebensbewältigender und sinnvoller Weise umgehen können.

Ansatzpunkte gesundheitsfördernder Interventionen und Prozesse

Gesundheit im salutogenetischen Sinne liegt dann vor, wenn die Energien aus inneren Kraftquellen und äußeren Ressourcen die Belastungen und inneren Destruktionskräfte überwiegen. Unter Einbeziehung psychotherapeutischer und salutogenetischer Konzepte sieht Markus Fäh deshalb vier Ansatzpunkte gesundheitsfördernder und psychotherapeutischer Interventionen und Prozesse:

  • Die Nutzung innerer Lebenskräfte
  • Die Nutzung äußerer Kraftquellen
  • Die Bändigung und Überwindung innerer destruktiver Kräfte
  • Die Bewältigung äußerer Belastungen

Pages: 1 2 3 4