Die Entwicklung der Chinesischen Medizin auf dem Hintergrund von Geschichte und Kultur

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Die Sinnentleerung des Neokonfuzianismus in der Ming-Dynastie

Nach der Herrschaft der Mongolen, die zu einem Niedergang der Wirtschaft führte, kam wieder ein Chinese auf den Kaiserthron und begründete die Ming-Dynastie (1368 bis 1644). Die Beamtenprüfungen, die nun als elitäres Instrument zur Unterdrückung der unteren Volksschichten galten, wurden so sehr vereinfacht, dass praktische Fähigkeiten wichtiger wurden als literarische Bildung. Der von den Herrschenden geförderte Neokonfuzianismus wurde zunehmend sinnentleert. Seine Aneignung bestand vor allem darin, Texte auswendig zu lernen und in der Prüfung vorzutragen. Das Lernen wurde damit zur Formsache, die Inhalte ohne prägenden Einfluss auf späteres Denken und Handeln. Bildung wurde zu Scheinbildung, und zugleich wurden die Standesunterschiede verwischt, so dass die Herrschenden zunehmend mit den Ansichten der weniger Privilegierten in Berührung kamen.

Schon in der Song-Zeit hatten gelehrte Mediziner und Naturbeobachter die neue Freiheit genutzt, das vorhandene Wissen zu erweitern. Dabei gelangten sie allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Jeder fand andere Gründe, warum die Menschen krank werden, und jeder verkündete, immer auf der Grundlage der klassischen Theorien, eigene Rezepte, dem Kranksein vorzubeugen und Krankheiten zu heilen. Es kam zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Ansätze, in dem keine der vielen Lehrmeinungen zumindest auch nur zeitweilig dominierte.1Liu Wansu (1110 bis 1200) fand die Ursache für Erkrankungen in einer Überhitzung des Körpers, Zhang Congzheng (1156 bis 1228) in einem Eindringen pathogener Einflüsse (die allesamt mit „angreifen und abführen“ zu behandeln seien) und Li Gao (1180 bis 1251?) in Funktionsstörungen von Milz und Magen. Diese Individualisierung setzte sich in der Ming-Zeit sogar noch weiter fort und verlor auch in der nachfolgenden Epoche nichts an Kraft.


Die Rückkehr der Empirie in der Qing-Dynastie

Als das Steppenvolk der Mandschu China eroberte und die Qing-Dynastie (1644 bis 1911) begründete, bleiben auf dem ersten Blick die Strukturen dieselben wie eh und je. Die Mandschu ließen sich von der Lebensart der Chinesen durchdringen.2Ein offensichtliches Zeichen der Fremdherrschaft des Reitervolkes aus dem Norden war allerdings der den Chinesen aufgezwungene Zopf.

Unter den Kaisern Kangxi (1662 bis 1723) bis Qianlong (1736 bis 1796) blühte das Land in jeder Hinsicht, dann jedoch begann der Niedergang der Dynastie. Die neokonfuzianischen Song-Lehren erschienen zunehmend suspekt und wurden als Grund für die Unfähigkeit gesehen, das eigene Land zu regieren. Gu Yanwu (1613 bis 1682) betrachtete das leere Theoretisieren der Beamten als Ursache dafür, dass ihnen die Fähigkeit fehlt, die politischen Realitäten einzuschätzen und das Land vor Unheil zu bewahren. Vor allem die Einflüsse von Daoismus und Buddhismus auf den Konfuzianismus wurden als fatal angesehen. Und im medizinischen Bereich wurde die Pharmakologie als untaugliche Theorie erachtet, die Arzneiwirkungen erklären zu können. Es folgte eine Rückkehr zu den empirischen Erfahrungen, zu den sichtbaren Wirkungen der Substanzen.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Liu Wansu (1110 bis 1200) fand die Ursache für Erkrankungen in einer Überhitzung des Körpers, Zhang Congzheng (1156 bis 1228) in einem Eindringen pathogener Einflüsse (die allesamt mit „angreifen und abführen“ zu behandeln seien) und Li Gao (1180 bis 1251?) in Funktionsstörungen von Milz und Magen.
  • 2
    Ein offensichtliches Zeichen der Fremdherrschaft des Reitervolkes aus dem Norden war allerdings der den Chinesen aufgezwungene Zopf.

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