Der Einfluss von Shiatsu auf die Lebensqualität bei Multipler Sklerose. Eine Studie von Stergios Tsiormpatzis
Ab wann wirkt Shiatsu und wie lange hält die Wirkung an?
In der vorliegenden Studie wurde ein minimaler Ansatz mit sechs zweiwöchigen Perioden mit insgesamt zwölf Behandlungen gewählt. Die Fragen, wie lange die Wirkung einer Shiatsu-Behandlung anhält, wie lange Carry-Over-Effekte andauern und wie lange die Washout-Periode sein sollte, kann in der vorliegenden Studie nur ansatzweise überprüft werden, nur einige der Daten liefern hier Anhaltspunkte.1Als Carry-Over-Effekt (Übertragungseffekt) bezeichnet man den Einfluss von vorigen Behandlungen, die die nachfolgende Messung beeinflussen. Um Carry-Over-Effekte zu vermeiden bzw. zu reduzieren, werden Pausen zwischen den Bedingungen eingelegt (Washout), in der die Effekte aus der Behandlung abklingen sollen; siehe /carry-over-effekt-und-washout/. Die Problematik des Carry-Over-Effekts betrifft vor allem das Within-Subjects-Studiendesign; siehe /between-subjects-und-within-subjects-design/.
Die Skala Role-Physical2Diese Skala bezieht sich auf Einschränkungen in täglichen Aktivitäten aufgrund der (eingeschränkten) körperlichen Gesundheit. deutet darauf hin, dass zwei aufeinanderfolgende Behandlungsperioden (vier Wochen) notwendig waren, um eine Verbesserung zu dokumentieren. Diese hat für zwei Kontrollperioden (vier Wochen) angehalten und sich während der letzten Behandlungsperiode (zwei Wochen) noch weiter verbessert.
Ähnliche Tendenzen zeigen die Ergebnisse der Skalen „Darmkontrolle“3Regelmäßiger und „normaler“ Stuhlgang vs. Inkontinenz, Verstopfung… und „Modifizierte Müdigkeitswirkung“4Die Modified Fatigue Impact-Skala bewertet die Auswirkungen von Müdigkeit auf körperliche, kognitive und psychosoziale Funktionen., wobei die Verbesserung nach einem Behandlungszeitraum von zwei Wochen eintritt und sich nach dem zweiten, gleich anschließenden Behandlungszeitraum maximiert. In den folgenden zwei Kontrollperioden, die zusamme vier Wochen ausmachen, kehrt sich die Verbesserung teilweise wieder um, um sich nach der Wiedereinführung der letzten Behandlungsperiode (wiederum zwei Wochen) erneut zu verbessern.
Auch die Verbesserung der Spastik deutet darauf hin, dass ein Behandlungszeitraum von zwei Wochen ausreichend war, um bestimmte Verbesserungen herbeizuführen, die während der beiden nachfolgenden Kontrollzeiträume (vier Wochen) nachlassen und sich nach einem Behandlungszeitraum von zwei Wochen wieder verbessern.
Es kann zusammengefasst werden, dass vier Wochen Shiatsu-Behandlung (mit insgesamt acht Behandlungen) ausreichten, um eine Wirkung in einigen Bereichen zu belegen. Eine vierwöchige Auswaschphase reichte jedoch nicht aus, um eine vollständige Aufhebung der Verbesserungen zu bewirken. Zudem: Wenn eine teilweise Umkehrung der Wirkung eintrat, erforderte das erneute Auftreten einer Verbesserung kürzere Behandlungszeiträume.5Leider lässt das Fehlen einer statistischen Analyse aber keine genaueren Aussagen über die „Halbwertszeit“ von Shiatsu zu. Zu beachten ist auch, dass es in dieser Studie keine Nachbeobachtungszeit gab. Ein informeller Kontakt des Autors mit der Teilnehmerin vier Monate nach Abschluss der Studie ergab, dass sich die Wirkung in dieser Zeit bereits verflüchtigt hatte. Wenngleich auf Grund fehlender Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit nicht gesagt werden kann, wie lange eine Behandlung für optimale Ergebnisse erfolgen sollte, so decken sich die vorliegenden Ergebnisse mit dem Usus in Europa, Shiatsu in (meist) wöchentlichen Sitzungen anzubieten. Andererseits, so führt der Autor aus, wird Tuina im chinesischen Kontext oft täglich angeboten, womit der Autor im Kontext mit Menschen mit Behinderung durchaus positive klinische Erfahrungen gemacht hat. Intensive und zugleich kurzfristige Behandlungskonzepte werden mitunter erfolgreich in der Akupunkturbehandlung eingesetzt. Für Shiatsu in Bezug auf Multiple Sklerose geht der Autor für optimale Ergebnisse allerdings von einer intensiven und (eher) langfristigen Behandlungsperspektive aus.
Mögliche Einschränkungen der Aussagekraft der Studie
Der Autor führt aus, dass MSQLI, obwohl er in der Forschung für Menschen mit Behinderung weit verbreitet ist und ein breites Spektrum der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, HRQoL) abdeckt, wesentliche Bereiche der spezifischen Patientin nicht erfasste. Die Studie unterstreicht damit, so der Autor, nachdrücklich den Bedarf an umfassenderen Methoden zur Messung der Behandlungseffekte. Erst die Einbeziehung weiterer Datenquellen, wie insbesondere der Interviews, unterstützte die Interpretation des standardisierten Fragebogens.
Desweiteren ist der Einfluss der Position des Forschers zu bedenken, der eben nicht nur Forscher sondern auch Shiatsu gebender Praktiker war. Um etwaige Probleme mit der Glaubwürdigkeit, die sich aus dieser Konstellation ergeben könnte, zu reduzieren, wurden sowohl die aus verschiedenen Quellen gesammelten Daten zusammengeführt als auch das Interviewtranskript von der Patientin auf seine Richtigkeit überprüft. Dazu kamen Supervision und kollegiale Nachbesprechungen.
Obwohl die im Rahmen der Studie angebotenen Behandlungen sehr nahe an der realen Praxis des Behandlers war, schränkte er sich dennoch – im Vergleich zur Arbeit außerhalb der Studie – auf gewisse Weise ein, dass er z.B. ergänzende Methoden wie Schröpfen nicht einsetzte und auch Lebensstil- und/oder Ernährungsberatung nicht in die Arbeit miteinbezog.
Dazu kam, dass Shiatsu in Europa im allgemeinen auf dem Boden (Futon) angeboten wird, die Behandlungen in der vorliegenden Studie allerdings auf Vorschlag der Patientin (wegen ihrer Bewegungseinschränkungen) auf einem Bett ausgeführt wurden.6Aber auch moderne japanische Praktiker*innen arbeiten, weil es aus ihrer Sicht sicherer und bequemer ist, vielfach auf einer Massageliege oder einem Bett. Diese Modifizierung des Shiatsu fand, so der Autor, zwar Verbreitung in den USA, kaum aber in Europa. An dieser Stelle regt der Autor an, dass Shiatsu-Schulen/-Ausbildungsinstitutionen ihre Schüler*innen darin unterstützen sollten, ihre Arbeit an die Situation ihrer Patient*innen anzupassen und durchaus auch auf dem Tisch oder dem Sessel zu arbeiten.
Ergänzende Anmerkung zur Methodik
Die vorliegende Studie könnte die Rolle eines methodologischen Pilotprojekts für die Anwendung von „N-of-1“-Versuchsdesigns im Bereich manueller Therapien und Körperarbeit einnehmen, da für diese Forschungsbereiche das traditionelle Studiendesign nur schwer anwendbar ist.
Anmerkungen/Fußnoten
- 1Als Carry-Over-Effekt (Übertragungseffekt) bezeichnet man den Einfluss von vorigen Behandlungen, die die nachfolgende Messung beeinflussen. Um Carry-Over-Effekte zu vermeiden bzw. zu reduzieren, werden Pausen zwischen den Bedingungen eingelegt (Washout), in der die Effekte aus der Behandlung abklingen sollen; siehe /carry-over-effekt-und-washout/. Die Problematik des Carry-Over-Effekts betrifft vor allem das Within-Subjects-Studiendesign; siehe /between-subjects-und-within-subjects-design/.
- 2Diese Skala bezieht sich auf Einschränkungen in täglichen Aktivitäten aufgrund der (eingeschränkten) körperlichen Gesundheit.
- 3Regelmäßiger und „normaler“ Stuhlgang vs. Inkontinenz, Verstopfung…
- 4Die Modified Fatigue Impact-Skala bewertet die Auswirkungen von Müdigkeit auf körperliche, kognitive und psychosoziale Funktionen.
- 5Leider lässt das Fehlen einer statistischen Analyse aber keine genaueren Aussagen über die „Halbwertszeit“ von Shiatsu zu. Zu beachten ist auch, dass es in dieser Studie keine Nachbeobachtungszeit gab. Ein informeller Kontakt des Autors mit der Teilnehmerin vier Monate nach Abschluss der Studie ergab, dass sich die Wirkung in dieser Zeit bereits verflüchtigt hatte. Wenngleich auf Grund fehlender Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit nicht gesagt werden kann, wie lange eine Behandlung für optimale Ergebnisse erfolgen sollte, so decken sich die vorliegenden Ergebnisse mit dem Usus in Europa, Shiatsu in (meist) wöchentlichen Sitzungen anzubieten. Andererseits, so führt der Autor aus, wird Tuina im chinesischen Kontext oft täglich angeboten, womit der Autor im Kontext mit Menschen mit Behinderung durchaus positive klinische Erfahrungen gemacht hat. Intensive und zugleich kurzfristige Behandlungskonzepte werden mitunter erfolgreich in der Akupunkturbehandlung eingesetzt. Für Shiatsu in Bezug auf Multiple Sklerose geht der Autor für optimale Ergebnisse allerdings von einer intensiven und (eher) langfristigen Behandlungsperspektive aus.
- 6Aber auch moderne japanische Praktiker*innen arbeiten, weil es aus ihrer Sicht sicherer und bequemer ist, vielfach auf einer Massageliege oder einem Bett. Diese Modifizierung des Shiatsu fand, so der Autor, zwar Verbreitung in den USA, kaum aber in Europa. An dieser Stelle regt der Autor an, dass Shiatsu-Schulen/-Ausbildungsinstitutionen ihre Schüler*innen darin unterstützen sollten, ihre Arbeit an die Situation ihrer Patient*innen anzupassen und durchaus auch auf dem Tisch oder dem Sessel zu arbeiten.