Brown, Cary A. et al.: Hand self-Shiatsu for sleep problems in persons with chronic pain
Durchführung der Studie
In der vorliegenden Studie wurde ein Fall-Serien-Design verwendet, bei dem die Teilnehmer*innen als eigene Kontrolle fungierten, da sich Fallstudien B. Kooistra1Kooistra B, Dijkman B, Einhorn TA, Bhandari M: How to design a good case series. J Bone Joint Surg Am. 2009; 91(Suppl 3): 21-26. zufolge gut für die Generierung von Hypothesen für neuartige Interventionen eignen, für die es noch keine gesicherte Evidenzbasis gibt.
Schlaflatenz und -erhaltung (Aktigraphieüberwachung2Die Aktigraphie ist ein (nicht invasives) Verfahren zur Untersuchung menschlicher Aktivitäts- und Ruhezyklen. Über einen längeren Zeitraum werden Daten über die Bewegungen einer ProbandIn und teilweise zusätzliche Parameter wie Helligkeit und Umgebungstemperatur aufgezeichnet und ausgewertet. Das Verfahren kommt in Schlafmedizin und Schlafforschung zur Anwendung. Das als Aktigraph oder Aktometer bezeichnete Messgerät ähnelt einer Armbanduhr und wird am Handgelenk getragen. Sadeh A, Acebo C: The role of actigraphy in sleep medicine. Sleep Med Rev. 2002; 6(2): 113-124. und Selbstbericht), Schlafinformationen (Pittsburgh Sleep Quality Index, PSQ3Der Pittsburgh Schlafqualitätsindex (PSQI) ist ein Fragebogen zur Erfassung der Schlafqualität. Er erfragt retrospektiv die Häufigkeit schlafstörender Ereignisse, die Einschätzung der Schlafqualität, die gewöhnlichen Schlafzeiten, Einschlaflatenz und Schlafdauer, die Einnahme von Schlafmedikationen, sowie die Tagesmüdigkeit. Insgesamt 18 Items werden zur quantitativen Auswertung herangezogen und 7 Komponenten zugeordnet, die jeweils einen Wertebereich von 0 bis 3 annehmen können: https://www.dgsm.de/downloads/fachinformationen/frageboegen/psqi.pdf.), Schmerzintensität (visuelle Schmerzintensitäts-Analogskala, VAS4Die Schmerzintensität wurde mit einer visuellen Schmerzintensitäts-Analogskala (VAS) efasst. Meist handelt es sich dabei um eine Linie, deren Endpunkte extreme Zustände darstellen, wie z.B. „kein Schmer“ und „unerträglicher Schmerz“. Die/der Befragte markiert ihre/seine subjektive Empfindung durch einen Strich auf der Linie.), Beziehungen zwischen bestimmten Überzeugungen, der Einhaltung der HSS-Intervention und bestimmten Schlafparameter (Sleep Beliefs Scale, SBS5In der Sleep Beliefs Scale (SBS) geben die Befragten an, wie bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Drogenkonsum, Tages- und Abendaktivitäten) die Qualität und Quantität des Schlafes beeinflussen können. Adan A, Fabbri M, Natale V, Prat G: Sleep Beliefs Scale (SBS) and circadian typology. J Sleep Res. 2006 Jun;15(2):125-32.) sowie grundlegende Teilnehmer*inneninformationen wurden zu Studienbeginn erhoben. Nach einer Woche wurden die Hand-Selbst-Shiatsu-Intervention den Teilnehmer*innen in Einzelsitzungen von geschulten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen6Die Mitarbeiter*innen hatten Kenntnissen in Ergo- oder Physiotherapie. vermittelt. Zwei und acht Wochen nach der Intervention wurden oben angeführte Daten erneut erhoben. Inkludiert wurde in die Erhebung auch eine offene Frage sowie in der achten Woche der Nachbeobachtung die Frage, wie viele zusätzliche Minuten Schlaf die Teilnehmer*nnen benötigen würden, um den Eindruck zu haben, dass sich die Zeit, die sie in die regelmäßige Durchführung des Selbst-Shiatsu investierten, gelohnt hat.
Ergebnisse
Im Bereich der Schlafüberzeugungen waren sich die meisten Teilnehmer*innen bewusst, dass Aktivitäten vor dem Schlafengehen, wie das Trinken von koffeinhaltigen Getränken, intensive Arbeit und Studium, eine schwere Mahlzeit und Angst vor dem Schlafengehen, negative Auswirkungen auf den Schlaf haben würden. Weniger bewusst waren sie sich der negativen Auswirkungen von Rauchen vor dem Schlafengehen, von spätem Schlafengehen und von Schlafen, um verlorenen Schlaf auszugleichen.
Wenngleich vollständige Daten nur für neun Teilnehmer*innen zur Verfügung stehen (und damit statistische Schlussfolgerungen nicht gezogen werden können), zeigt sich über die drei Messperioden (Baseline, 2-Wochen- und 8-Wochen-Follow-up) in den PSQI-Werten zur subjektiven Bewertung der Schlafqualität ein Trend zur Verbesserung von Schlaflatenz und Schlafdauer. Die anderen PSQI-Komponenten (subjektive Schlafqualität, gewohnheitsmäßige Schlafeffizienz, Schlafstörungen, Einsatz von Schlafmedikamenten und tägliche Funktionsstörungen) und die Gesamtpunktzahl zeigen keinen Unterschied über die Zeit.
Diese selbstberichteten Unterschiede waren in den (objektiven) Aktigraphieberichten nicht ersichtlich, und es wurde zwischen den drei Zeiträumen kein offensichtlicher Unterschied für die Schlaflatenz, die Gesamtschlafdauer, die Häufigkeit des nächtlichen Erwachens und die Schlafeffizienz festgestellt. Allerdings war die mittlere Summe der Minuten, die die Proband*innen während der Schlafperiode wach waren, über die drei Zeiträume hinweg sehr unterschiedlich (79,56 Minuten zu Beginn, 64,08 Minuten bei der 2-wöchigen Nachbeobachtung und 75,55 Minuten bei der 8-wöchigen Nachbeobachtung), was einen positiven Trend zu weniger häufigen Erwachen während der Schlafperiode zeigt, während die Behandlungstreue am höchsten war.7Zu Beginn der Studie war die Einhaltung der vorgegebenen Shiatsu-Behandlungen besser als beim 8-wöchigen Follow-up, z.B weil sie die Behandlungen als zu lang empfunden haben. Die Autor*innen sehen darin die Herausforderung, die Dauer der Behandlungen von derzeit 12-15 Minuten auf 7-10 Minuten zu verkürzen.
Die Schmerzen haben sich während der Studie kaum verändert (VAS beim Aufwachen, zu Mittags und vor dem Schlafengehen).
Diskussion der Ergebnisse
Obwohl sich keine objektiven Veränderungen (Aktigraphiedaten) zeigen, findet sich ein Trend zu einer verbesserten selbstberichteten Schlaf-Latenz (Einschlafzeit) und Schlafdauer – allerdings ist die Stichprobe nicht groß genug, um aussagekräftige Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Ergebnisse können dementsprechend, so die Autor*innen, nur vorsichtig als vielversprechend in Hinblick auf die gegebene Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung des erholsamen Schlafs8Weaver TE: Outcome measurement in sleep medicine practice and research. Part 1: assessment of symptoms, subjective and objective daytime sleepiness, health-related quality of life and functional status. Sleep Med Rev. 2001; 5(2): 103-128. interpretiert werden.9Die Autor*innen führen aus, dass eine stärkere Einhaltung der vorgegebenen Hand-Selbst-Shiatsu-Behandlungen eventuell auch objektive Verbesserungen der Schlafparameter mit sich bringen könnten.
Keine der Teilnehmer*innen erlebte die Durchführung des Hand-Selbst-Shiatsu als inakzeptabel, schmerzhaft oder in irgendeiner Weise beunruhigend. Die Autor*innen betrachten diesen Umstand als ermutigend und sehen in HSS das Potenzial einer kostengünstigen und praktikablen nicht-pharmakologischen Schlafintervention.10Weitere Studien seien damit gerechtfertigt, so die AutorInnen.
Ein Nebenziel der Studie war es, problematische Schlafüberzeugungen zu identifizieren, wobei sich ein Mangel an Wissen über negative Auswirkungen des Rauchens vor dem Schlafengehen zeigte, ebenso über spätes Schlafengehen und Schlafen, um verlorenen (fehlenden) Schlaf auszugleichen.
Im Rahmen der vorliegenden Pilotstudie konnte, so die Autor*innen, nicht festgestellt werden, welche Mechanismen für die (selbstberichtete) Abnahme der Schlaf-Latenz (Einschlafdauer) verantwortlich sind. Eine Interpretationsmöglichkeit ist, dass die Hand-Selbst-Massage (wie andere CAM-Methoden) zu mehr Hoffnung, Entspannung, positiver Stimmung, Körperbewusstsein, Wohlbefinden und Bewältigungsfähigkeit führt.11Hsu C, Bluespruce J, Sherman K, Cherkin D: Unanticipated benefits of CAM therapies for back pain: an exploration of patient experiences. J Altern Complement Med. 2010; 16(2): 157-163. Das wiederum könnte dazu beigetragen haben, dass sich die Schlaflatenz verringerte. Eine andere Möglichkeit könnte aber auch darin liegen, dass die Selbst-Shiatsu-Anwendung das Energiegleichgewicht der Körpers beeinflusst, denn Robinson et al.12Robinson N, Lorenc A, Liao X: The evidence for Shiatsu: a systematic review of Shiatsu and acupressure. BMC Complement Altern Med. 2011; 11: 88. fanden in einer Review klare Hinweise auf Schmerzlinderung und verbesserten Schlaf durch die Anwendung von Shiatsu und Akupressur bei älteren Menschen.13 In den von Robinson et al. untersuchten Studien empfingen die Proband*innen passiv Shiatsu, weshalb sich diese Ergebnisse nicht direkt mit denen der vorliegenden Studie vergleichen lassen. Selbst-Shiatsu ist beispielsweise kongruenter mit dem Ziel von Selbstmanagement und seine Wirkung könnte damit auch mit kognitiv-emotionalen Mechanismen verknüpft sein.
Einen weiteren Einfluss auf die Wahrnehmung der Schlafqualität nimmt das Geschlecht der Proband*innen.14Woosley JA, Lichstein KL, Taylor DJ, Riedel BW, Bush AJ: Predictors of perceived sleep quality among men and women with insomnia. Behav Sleep Med. 2012; 10(3): 191201. In der vorliegenden Studie zeigt sich, dass die Einschätzungen der Männer primär die Dauer des Schlafs widerspiegeln, die der Frauen hingegen stärker die Anzahl der Aufwachphasen im Laufe der Schlafperiode.15Da es in der vorliegenden Studie mehr Frauen als Männer gab, könnte das zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben.
Die Autor*innen gehen schlussendlich noch von der Überlegung aus, dass die Hand-Selbst-Massage als Übergangsaktivität dient und durch die Anforderungen, die sie an die Teilnehmer*innen stellt, das Einschlafen fördert. Anders als Grübeln und „Kreisdenken“ (Gedankenkreisen) ist HSS weder angstbesetzt noch alarmierend – anders als stressbesetzte Gedanken, die Schlaf-verzögernde physiologische Antworten auslösen können. HSS würde damit möglicherweise wie eine konkurrierende Aufmerksamkeitsanforderung wirken.16Offen ist wissenschaftlich nach wie vor die Frage, ob konkurrierende Anforderungen an das Aufmerksamkeitssystem inkompatibel sind, die Aufmerksamkeit also eine einzige (begrenzte) Ressource ist, die zwischen konkurrierenden Anforderungen geteilt werden muss, oder ob Aufmerksamkeit durch mehrere Ressourcen erreicht werden kann. Vgl. Styles EA: The psychology of attention. 2nd ed. London: Psychology Press. 2006.
Anmerkungen/Fußnoten
- 1Kooistra B, Dijkman B, Einhorn TA, Bhandari M: How to design a good case series. J Bone Joint Surg Am. 2009; 91(Suppl 3): 21-26.
- 2Die Aktigraphie ist ein (nicht invasives) Verfahren zur Untersuchung menschlicher Aktivitäts- und Ruhezyklen. Über einen längeren Zeitraum werden Daten über die Bewegungen einer ProbandIn und teilweise zusätzliche Parameter wie Helligkeit und Umgebungstemperatur aufgezeichnet und ausgewertet. Das Verfahren kommt in Schlafmedizin und Schlafforschung zur Anwendung. Das als Aktigraph oder Aktometer bezeichnete Messgerät ähnelt einer Armbanduhr und wird am Handgelenk getragen. Sadeh A, Acebo C: The role of actigraphy in sleep medicine. Sleep Med Rev. 2002; 6(2): 113-124.
- 3Der Pittsburgh Schlafqualitätsindex (PSQI) ist ein Fragebogen zur Erfassung der Schlafqualität. Er erfragt retrospektiv die Häufigkeit schlafstörender Ereignisse, die Einschätzung der Schlafqualität, die gewöhnlichen Schlafzeiten, Einschlaflatenz und Schlafdauer, die Einnahme von Schlafmedikationen, sowie die Tagesmüdigkeit. Insgesamt 18 Items werden zur quantitativen Auswertung herangezogen und 7 Komponenten zugeordnet, die jeweils einen Wertebereich von 0 bis 3 annehmen können: https://www.dgsm.de/downloads/fachinformationen/frageboegen/psqi.pdf.
- 4Die Schmerzintensität wurde mit einer visuellen Schmerzintensitäts-Analogskala (VAS) efasst. Meist handelt es sich dabei um eine Linie, deren Endpunkte extreme Zustände darstellen, wie z.B. „kein Schmer“ und „unerträglicher Schmerz“. Die/der Befragte markiert ihre/seine subjektive Empfindung durch einen Strich auf der Linie.
- 5In der Sleep Beliefs Scale (SBS) geben die Befragten an, wie bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Drogenkonsum, Tages- und Abendaktivitäten) die Qualität und Quantität des Schlafes beeinflussen können. Adan A, Fabbri M, Natale V, Prat G: Sleep Beliefs Scale (SBS) and circadian typology. J Sleep Res. 2006 Jun;15(2):125-32.
- 6Die Mitarbeiter*innen hatten Kenntnissen in Ergo- oder Physiotherapie.
- 7Zu Beginn der Studie war die Einhaltung der vorgegebenen Shiatsu-Behandlungen besser als beim 8-wöchigen Follow-up, z.B weil sie die Behandlungen als zu lang empfunden haben. Die Autor*innen sehen darin die Herausforderung, die Dauer der Behandlungen von derzeit 12-15 Minuten auf 7-10 Minuten zu verkürzen.
- 8Weaver TE: Outcome measurement in sleep medicine practice and research. Part 1: assessment of symptoms, subjective and objective daytime sleepiness, health-related quality of life and functional status. Sleep Med Rev. 2001; 5(2): 103-128.
- 9Die Autor*innen führen aus, dass eine stärkere Einhaltung der vorgegebenen Hand-Selbst-Shiatsu-Behandlungen eventuell auch objektive Verbesserungen der Schlafparameter mit sich bringen könnten.
- 10Weitere Studien seien damit gerechtfertigt, so die AutorInnen.
- 11Hsu C, Bluespruce J, Sherman K, Cherkin D: Unanticipated benefits of CAM therapies for back pain: an exploration of patient experiences. J Altern Complement Med. 2010; 16(2): 157-163.
- 12Robinson N, Lorenc A, Liao X: The evidence for Shiatsu: a systematic review of Shiatsu and acupressure. BMC Complement Altern Med. 2011; 11: 88.
- 13In den von Robinson et al. untersuchten Studien empfingen die Proband*innen passiv Shiatsu, weshalb sich diese Ergebnisse nicht direkt mit denen der vorliegenden Studie vergleichen lassen. Selbst-Shiatsu ist beispielsweise kongruenter mit dem Ziel von Selbstmanagement und seine Wirkung könnte damit auch mit kognitiv-emotionalen Mechanismen verknüpft sein.
- 14Woosley JA, Lichstein KL, Taylor DJ, Riedel BW, Bush AJ: Predictors of perceived sleep quality among men and women with insomnia. Behav Sleep Med. 2012; 10(3): 191201.
- 15Da es in der vorliegenden Studie mehr Frauen als Männer gab, könnte das zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben.
- 16Offen ist wissenschaftlich nach wie vor die Frage, ob konkurrierende Anforderungen an das Aufmerksamkeitssystem inkompatibel sind, die Aufmerksamkeit also eine einzige (begrenzte) Ressource ist, die zwischen konkurrierenden Anforderungen geteilt werden muss, oder ob Aufmerksamkeit durch mehrere Ressourcen erreicht werden kann. Vgl. Styles EA: The psychology of attention. 2nd ed. London: Psychology Press. 2006.
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