Braucht Shiatsu Forschung? Und wenn ja, welche Forschung braucht Shiatsu? (Dr. Eduard Tripp, Karin Koers, Achim Schrievers)

Forschung

Angedacht wurden in diesem Zusammenhang auch Behandlungsdokumentationen, die die positiven Effekte von Shiatsu dokumentieren (case reports). Dabei aber, so wurde von Achim Schrievers und Dr. Eduard Tripp betont, ist es wichtig, dass diese Dokumentation zum einen die Zielsetzungen des Shiatsu und zum anderen die gesetzlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Denn selbst wenn sich in Folge von Shiatsu-Behandlungen so manche Beschwerden und Erkrankungen verbessern, so liegt der Fokus von Shiatsu klar auf der ganzheitlichen Behandlung des Menschen. Das Ziel ist die energetische Harmonisierung des behandelten Menschen und die Anregung seiner selbstregulativen Funktionen. Auf dieser Basis kann sich vieles ändern, durchaus auch Krankheiten bewältigt werden.

Podiumsdiskussion

In der Erfahrung von Shiatsu-Klient*innen, wie sie im Projekt „Tiefen-Interviews – Schätze des Shiatsu“ erhoben wurde zeigt sich, dass die übliche Einteilung in Wellness, Gesundheitsförderung und Therapie dem Shiatsu-Geschehen nicht gerecht wird. Um Shiatsu in seiner ganzen Dimension zu erfassen, bedarf es des Eintauchens in ein – immer subjektives – Erleben. Hier zeigen sich die Grenzen der Wissenschaft, die sicher zum Ziel gesetzt hat, Lebensvorgänge „objektiv“, d.h. von außen zu betrachten und so zu verstehen.

Auch wenn z. B. ein Sexualforscher alle mit Sexualität zusammenhängenden Daten auswertet, wird er das der Liebe innewohnende Geheimnis nicht erfassen. Es bedarf eines Bindeglieds zwischen im Erleben gesammelten Erfahrungen und wissenschaftlicher Betrachtung der Vorgänge von außen. Die Wissenschaft bedient sich des Verstandes und des Denkens zur Erforschung von Lebensvorgängen; der Wert von Shiatsu aber zeigt sich unter anderem im Eintauchen in das Tiefenbewusstsein, das sich erst öffnet, wenn das Denken zur Ruhe kommt. Diese beiden Wege, das Begreifen über das Erleben und das Verstehen über die wissenschaftliche Betrachtung, sollten sich ergänzen und nicht bekämpfen.

Dass Wissenschaft auch unlauter benutzt werden kann, führt Fernando Cabo am Beispiel von Dr. Edzard Ernst an, einem ehemaligen Inhaber eines Lehrstuhls für Alternativmedizin in Großbritannien, der vehement gegen alle Methoden wettert, die keine wissenschaftliche Evidenz vorweisen können. Im Fall von Shiatsu kommt noch dazu, dass er dieser Methode ein hohes Risiko attestiert, weil es viele negative Reaktionen auf Behandlungen gäbe – bis hin zum Schlaganfall. Edzard Ernst warnt deshalb explizit vor Shiatsu („der mögliche Nutzen ist das Risiko nicht wert“), wenngleich seine erste für die Risikoeinschätzung herangezogene Quelle ein geradezu konträres Ergebnis präsentiert und sich seine zweite Quelle auf einen Massagesessel („shiatsu type massager“) bezieht – und damit diesen Schluss absolut nicht zulassen. Für Menschen aber, die nicht tiefer in die Materie eindringen und zudem einen Doktor und Professor von vornherein (mehr) Vertrauen entgegenbringen (als „gewöhnlichen“ Menschen, wie es Shiatsu-Praktiker*innen sind), womöglich ein Grund Shiatsu zu meiden. Auch solchen tendenziösen Darstellungen kann mit Forschungsergebnissen entgegengetreten werden.

Dass es um die Evidenz von Shiatsu nicht gut bestellt ist, bestätigt Fernando Cabo noch dadurch, dass etliche Studien, die „angeblich“ Shiatsu untersuchen, nichts mit Shiatsu zu tun haben, vielmehr „irgendeine“ Form von Akupressur anwenden, teilweise mit Hilfsmitteln ausgeführt. Künftig, so sein Wunsch (und auch der Grund, warum er sich maßgeblich am Shiatsu Research Network beteiligt), sollte ein klares Protokoll für Shiatsu erstellt werden, mit dem andere Methoden abgegrenzt werden können.

Für die berufspolitische Anerkennung von Shiatsu sind Studien, wie Dr. Tripp ausführt, sehr hilfreich, zeigen sie neben Effektivität und Unbedenklichkeit in der Anwendung auch die Professionalität von Shiatsu. Auf dieser Ebene sind auch Studien im Bereich von Akupressur (unter Umständen auch von Akupunktur) hilfreich, wenn sie beispielsweise die Wirksamkeit von Perikard 8 (P 8) belegen – beruhen diese Methoden doch auf einigen gleichen Grundlagen. So betrachtet ist der Nachweis der Wirksamkeit von P 8 bei verschiedenen Formen von Übelkeit auch hilfreich für Shiatsu. So wichtig die Abgrenzung auf der einen Seite ist, so wichtig ist der Zusammenschluss, die Gemeinsamkeit auf der anderen Seite für einen anerkannten, reglementierten europäischen Beruf: Länder-, Verbands- und sogar Methoden übergreifend. Hierzu sind gemeinsame Kräfte notwendig – und hier können sich die Stärke der Gemeinschaft und der Geist des Shiatsu zeigen.


Literatur zum Artikel

Allgemeine Links

Über die Autor*innen

  • Eduard Tripp, Psychotherapeut, Supervisor und Shiatsu-Lehrer, Leiter der Shiatsu Austria; berufsrechtlicher Vertreter im Österreichischen Dachverband für Shiatsu und Autor diverser Fachartikel
  • Achim Schrievers, Studium der Sportwissenschaften, zweijähriger Studienaufenthalt in Japan zur Erforschung von Zusammenspiel zwischen Geist und Körper; Shiatsu-, Taiji- und Qigong-Lehrer; Autor verschiedener Bücher und Fachartikel
  • Karin Koers, Diplom-Wirtschaftsinformatikerin, B.Sc. Komplementärtherapie, Shiatsu-Praktikerin (GSD), Coach (FH) und Autorin. Sie forscht zu Shiatsu als komplementäre Methode bei stressbedingten Belastungen in der Kombination von (physischer) Shiatsu-Behandlung mit kognitiven Ansätzen (lösungsorientierte Kurzzeitberatung, Achtsamkeitsübungen).

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