Bewegte Jahre für Shiatsu. Auf dem Weg zu einem gesetzlichen Berufsbild (1999 bis 2003)

Waldweg mit Gegenlicht

Die erste und zunächst wohl wesentlichste Änderung, die sich daraus ergab, war ein Schreiben von Sektionschef Dr. Koprivnikar im April 1999, in dem er Shiatsu als eine ganzheitliche Behandlungsform beschrieb, „die keinem der bestehenden Gewerbe vollständig und umfassend zugeordnet werden kann und sich auch nicht in Massagetechniken erschöpft“. Ergänzt wurden diese Aussagen im Juni mit der Feststellung, dass Shiatsu nach entsprechender Ausbildung (im Sinne der Richtlinien des Österreichischen Dachverbandes für Shiatsu) als selbständiger Beruf ausgeübt werden kann:

  • als Psychologe, der in die Psychologenliste eingetragen ist,
  • als Lebens- und Sozialberater auf Grund der entsprechenden Gewerbeberechtigung, und
  • als Masseur auf Grund der entsprechenden Gewerbeberechtigung, dies kann auch eine auf Shiatsu eingeschränkte Massagegewerbeberechtigung sein.

Im Juni 1999 hatte sich die Situation damit erfreulicherweise insofern entspannt, dass die ÖDS-Ausbildung die Grundlage für den Erwerb des auf Shiatsu eingeschränkten Massage-Gewerbescheins bildete. Der Umstand aber, dass Vollgewerbe-Masseur*innen Shiatsu auch weiterhin ohne entsprechende Ausbildung anbieten konnten, blieb dennoch höchst unbefriedigend.

1. Österreichischer Shiatsu-Kongress 
Unabhängig von der Zuordnung von Shiatsu zur Massage, vielmehr Bezug nehmend auf die Ausrichtung von Shiatsu in Japan und auf die Zuordnung zu den komplementär(therapeutisch)en Methoden auf europäischer Ebene 1997 (Lannoye/Collins-Report und EU-Entschließung), veranstaltete der ÖDS im September 1999 den 1. Österreichischen Shiatsu-Kongress zum Thema „Integration ins Gesundheitswesen“.
—–
Ehrengäste und Teilnehmer*innen des in diesem Rahmen stattfindenden Roundtablegesprächs waren Sektionschef Dr. Koprivnikar und die oberösterreichische Landesinnungsmeisterin Gabi Trattner.

Mit der Novelle der Gewerbeordnung, die im Juni 2002 in Kraft trat, keimte kurz Hoffnung auf, dass sich Shiatsu auf diese Weise „aus der Umklammerung der Massage“ lösen könnte: Das Wirtschaftsministerium hatte eine Änderung vorgeschlagen, die die Möglichkeit eröffnet hätte, dass Vollgewerbe-Inhaber nicht zwangsläufig alle „Teilbereiche“ ausüben dürfen – eine Regelung, die der Position von Shiatsu zugutegekommen wäre, letztlich aber doch nicht in die Endfassung aufgenommen wurde. Die einzige, Shiatsu betreffende Änderung war, dass die „Nachsicht vom Befähigungsnachweis, eingeschränkt auf Shiatsu“ durch den „individuellen Befähigungsnachweis gemäß §19 GeWO (neu)“ ersetzt wurde.

Das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz
Es war ein großes Anliegen von Minister Herbert Haupt, der von Oktober 2000 bis Jänner 2005 Gesundheitsminister war, der Heilmassage einen größeren Stellenwert zu geben, und so wurde im Juli 2002 das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz (MMHmG) beschlossen.
—–
Im Vorfeld zu diesem Gesetz wurden letzthin leider erfolglose Gespräche von Seiten des ÖDS, vertreten durch Reinhard Flick (Arzt mit Schwerpunkt komplementäre Medizin, Shenmen-Schule gemeinsam mit Bettina Flick) und Eduard Tripp, sowohl mit Minister Haupt als auch mit Gesundheitsstaatssekretär Reinhard Vanek geführt, um Shiatsu als Methode in die Heilmassage zu integrieren.

Die entscheidende Wende brachte schließlich die Massage-Verordnung mit den ganzheitlich in sich geschlossenen Systemen, die eine faktische Abgrenzung des Shiatsu von der „gewerblichen Massage“, die dem Vollgewerbe zugrunde liegt, bedeutet: Vollgewerbe-Masseur*innen können seit diesem Zeitpunkt Shiatsu nur noch dann ausüben, wenn sie die Ausbildungsrichtlinien für Shiatsu erfüllen.

Vorangegangen ist dieser Verordnung ein Gespräch im Wirtschaftsministerium im Herbst 2002 auf Einladung von Sektionschef Dr. Koprivnikar, an dem Bundesinnungsmeister Hermann Talowski, Bundesinnungsgeschäftsführer Erwin Czesani, Christian Schnabl und Eduard Tripp teilnahmen und in dem der Grundstein der Verordnung besprochen wurde.

Dann allerdings gab es nochmals banges Hoffen und Warten, ob die Verordnung in der geplanten, von Sektionschef Dr. Koprivnikar vorbereiteten Form auch wirklich umgesetzt wird, da der Rücktritt der „Regierung Schüssel I“ im November 2002 auch den damaligen Wirtschaftsminister Martin Bartenstein betraf, der bis zu diesem Zeitpunkt die Verordnung noch nicht unterschrieben hatte. Die Unsicherheit lag darin, ob die vorliegende Massage-Verordnung nach der Neuwahl auch vom künftigen Wirtschaftsminister gutgeheißen wird.

Letztlich wurde dann – für unser Anliegen wahrscheinlich: glücklicherweise – nochmals Martin Bartenstein Wirtschaftsminister und am 28. Jänner 2003, vor nunmehr zwanzig Jahren, war es dann soweit: Die Massage-Verordnung, die ein eigenständiges gesetzlich geregeltes Berufsbild für Shiatsu mit sich bringt, tritt in Kraft und Österreich wird damit zum ersten europäischen Land mit einer offiziellen und spezifischen beruflichen Anerkennung von Shiatsu-Praktiker*innen.

Erstveröffentlichung: ÖDS-Newsletter Ausgabe 4 (Dezember 2023)


Dr. Eduard Tripp
Psychotherapeut, Supervisor und Leiter der Shiatsu-Ausbildungen Austria. Vorstandsmitglied im Österreichischen Dachverband (ÖDS) seit 1993, berufsrechtlicher und Vertreter im Europäischen Shiatsu-Dachverband (ESF); Innungsmeisterin-Stellvertreter in Wien

Pages: 1 2