Foster, Nadine E. et al.: Prevention and treatment of low back pain: evidence, challenges, and promising directions

Rückenbehandlung

Trotz der Fülle von Behandlungen und Gesundheitsressourcen, die für Rückenschmerzen eingesetzt werden, hat die Zahl der Behinderungen durch Rückenschmerzen (und die damit verbundenen Belastungen) zugenommen.1Freburger JK, Holmes GM, Agans RP, et al.: The rising prevalence of chronic low back pain. Arch Intern Med 2009; 169: 251-58.
Hoy D, March L, Brooks P, et al.: Measuring the global burden of low back pain. Best Pract Res Clin Rheumatol 2010; 24: 155-65.
 Während die zeitgleich in The Lancet erschiene Arbeit von Hartvigsen, Jan et al.2Jan Hartvigsen, Mark J Hancock, Alice Kongsted, Quinette Louw, Manuela L Ferreira, Stéphane Genevay, Damian Hoy, Jaro Karppinen, Glenn Pransky, Joachim Sieper, Rob J Smeets, Martin Underwood: What low back pain is and why we need to pay attention. The Lancet, 21.3.2018. DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)30480-X. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)30480-X/fulltext. einen Überblick über die (globalen) Auswirkungen, den Verlauf und die Belastungen von unteren Rückenschmerzen gibt, fasst die vorliegende Arbeit von Nadine E. Foster et al.3Nadine E Foster, Johannes R Anema, Dan Cherkin, Roger Chou, Steven P Cohen, Douglas P Gross, Paulo H Ferreira, Julie M Fritz, Bart W Koes, Wilco Peul, Prof Judith A Turner, Chris G Maher: Prevention and treatment of low back pain: evidence, challenges, and promising directions. The Lancet, 21.3.2018. DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)30489-6. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)30489-6/fulltext. die Evidenz für die Wirksamkeit von Interventionen zur Prävention und zur Behandlung sowie die Empfehlungen von Best Practice Guidelines zusammen.

Prävention

Im Gegensatz zu der großen Zahl von Studien, die die Behandlung von Rückenschmerzen untersuchen, sind die Erkenntnisse zur Prävention, insbesondere zur Primärprävention, nur sehr gering und die meisten der geförderten Maßnahmen zur Vorbeugung von Rückenschmerzen (z.B. Ausbildung am Arbeitsplatz, No-Lift-Politik, ergonomische Möbel, Matratzen, Rückengurte, Hebegeräte) haben keine solide wissenschaftliche Grundlage. In einer systematischen Überprüfung 2016 wurden nur 21 Studien mit 30.850 Erwachsenen (eine in einem Land mit niedrigem mittlerem Einkommen, Thailand) und in einer systematischen Überprüfung 2014 nur 11 randomisierte kontrollierte Studien mit 2.700 Kindern (eine in einem Land mit niedrigem mittlerem Einkommen, Brasilien) analysiert.4Steffens D, Maher CG, Pereira LS, et al.: Prevention of low back pain: a systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med 2016; 176: 199-208.
Michaleff ZA, Kamper SJ, Maher CG, Evans R, Broderick C, Henschke N: Low back pain in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis evaluating the effectiveness of conservative interventions. Eur Spine J 2014; 23: 2046-58.

Bei Erwachsenen, so zeigt sich, gibt es eine mäßige Evidenz dafür, dass Bewegung alleine oder auch in Kombination mit Schulung5„Education“ im Sinne von Bewegungsschulung oder Rückenschulung. präventiv wirksam ist.6Die Studien erfassten allerdings primär „sekundäre Prävention“ (Maßnahmen, die der Früherkennung und damit der Möglichkeit der rechtzeitigen Behandlung von Erkrankungen dienen; d.h. sekundäre Prävention wendet sich gezielt an Personen, bei denen Risikofaktoren vorliegen, aber bisher keine daraus resultierende Erkrankung) und die effektiven Programme waren sehr intensiv. Schulungen alleine, Schuheinlagen und ähnliche Maßnahmen hingegen zeigen nur eine geringe bis sehr geringe Wirksamkeit. Bei Kindern wiederum gibt es mäßige Evidenz, dass Schulungen ineffektiv sind, ergonomisch gestaltete Möbel allerdings untere Rückenschmerzen verhindern können.

Behandlung

Untere Rückenschmerzen ohne bekannte Ursache werden als unspezifische Rückenschmerzen bezeichnet und Leitlinie7Michaleff ZA, Kamper SJ, Maher CG, Evans R, Broderick C, Henschke N: Low back pain in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis evaluating the effectiveness of conservative interventions. Eur Spine J 2014; 23: 2046-58.
Stochkendahl MJ, Kjaer P, Hartvigsen J, et al.: National clinical guidelines for non-surgical treatment of patients with recent onset low back pain or lumbar radiculopathy. Eur Spine J 2018; 27: 60-75.
Qaseem A, Wilt TJ, McLean RM, Forciea MA: Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians. Noninvasive treatments for acute, subacute, and chronic low back pain: a clinical practice guideline from the American College of Physicians. Ann Intern Med 2017; 166: 514-30.
UK National Institute for Health and Care Excellence: Low back pain and sciatica in over 16s: assessment and management. November 2016. https://www.nice.org.uk/guidance/ng59 (accessed Nov 7, 2017).
 empfehlen die Verwendung eines biopsychosozialen Modells, um die Zusammenhänge zwischen verhaltensbezogenen, psychologischen und sozialen Faktoren und der Beharrlichkeit von Schmerzen und Behinderungen zu beurteilen. Laborbefunde und bildgebende Verfahren sollen nicht routinemäßig (als Teil des frühen Managements) eingesetzt werden, es sei denn es besteht beispielsweise der begründete Verdacht auf eine schwere Erkrankung.

Seit etwa drei Jahrzehnten liegt der Schwerpunkt der meisten Leitlinien auf Selbstmanagement, physischen und psychologischen Therapien sowie einigen Formen der Komplementärmedizin und weniger auf pharmakologischen und chirurgischen Behandlungen. Gefördert werden hingegen aktive Behandlungen, die sich auf psychosoziale Faktoren und Funktionsverbesserungen konzentrieren.

Das veränderte Verständnis im Umgang mit Rückenschmerzen zeigt sich in drei aktuellen Leitlinien, aus Dänemark8Stochkendahl MJ, Kjaer P, Hartvigsen J, et al.: National clinical guidelines for non-surgical treatment of patients with recent onset low back pain or lumbar radiculopathy. Eur Spine J 2018; 27: 60-75., den USA9Qaseem A, Wilt TJ, McLean RM, Forciea MA: Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians. Noninvasive treatments for acute, subacute, and chronic low back pain: a clinical practice guideline from the American College of Physicians. Ann Intern Med 2017; 166: 514-30. und Großbritannien10UK National Institute for Health and Care Excellence: Low back pain and sciatica in over 16s: assessment and management. November 2016. https://www.nice.org.uk/guidance/ng59 (Zugriff: 7. November 2017).. So empfiehlt die US-Richtlinie die nicht-pharmakologische Versorgung als Erstmaßnahme, wobei die pharmakologische Behandlung für Patient*innen reserviert wird, bei denen die nicht-pharmakologischen Interventionen zu keinem Erfolg führten. Und alle drei Richtlinien empfehlen die Anwendung von Übungsprogrammen sowie eine Reihe weiterer nicht-pharmakologischer Therapien (allein und in Kombination), wie Massage (USA und Großbritannien), Akupunktur (USA) oder auch Tai Chi und Yoga (USA).

Konsequente Empfehlungen für eine frühzeitige Behandlung sind, dass betroffene Personen über ihre Schmerzen informiert werden, die radikale Beteiligung und den Umstand, dass sie keine schwere Erkrankung haben und dass sich ihre Symptome vielmehr mit der Zeit verbessern werden. Auch sollen sie ermutigt werden, Bettruhe zu vermeiden und im Gegenteil aktiv zu bleiben und mit ihren üblichen Aktivitäten fortzufahren, einschließlich ihrer Arbeit. Eine frühzeitige angeleitete Bewegungstherapie ist normalerweise nicht nötig. Sie kann allerdings in Betracht gezogen werden, wenn die Genesung langsam voranschreitet – wie auch für Patient*innen mit Risikofaktoren für anhaltende behindernde Schmerzen.11Chou R, Deyo R, Friedly J, et al.: Noninvasive treatments for low back pain: comparative effectiveness review No 169. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality, 2016.

Es gibt keine Daten, die belegen, dass sich die Behandlung aktuter unspezifischer Schmerzen von der akuter Radikulopathien (ohne schwerer oder fortschreitende motorischer Schwäche) unterscheiden sollte. Bei anhaltenden Schmerzen im unteren Rückenbereich (länger als 12 Wochen) wird ein abgestuftes Aktivitäts- oder Bewegungsprogramm empfohlen, das auf eine Verbesserung der Funktion und die Vermeidung einer Verschlechterung der Behinderung abzielt.

Da es keine Belege dafür gibt, dass eine Trainingsform besser wäre als eine andere, empfehlen die Leitlinien Trainingsprogramme, die die individuellen Bedürfnisse, Vorlieben und Fähigkeiten bei der Entscheidung über die Art der Übung berücksichtigen. Einige Richtlinien empfehlen keine passiven Therapien wie Wirbelsäulenmanipulation oder -mobilisation, Massage und Akupunktur, einige halten sie für optional, andere wiederum empfehlen einen kurzen Kurs für Patient*innen, die nicht auf andere Behandlungen ansprechen.12Wong JJ, Cote P, Sutton DA, et al.: Clinical practice guidelines for the noninvasive management of low back pain: a systematic review by the Ontario Protocol for Traffic Injury Management (OPTIMA) Collaboration. Eur J Pain 2017; 21: 201-16.

Andere passive elektrische oder physikalische Behandlungen wie Ultraschall, transkutane elektrische Nervenstimulation13Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) ist eine elektromedizinische Reizstromtherapie mit mono- oder (meist) biphasischen Rechteckimpulsen (Wechselstrom) niedriger Frequenz, 2–4 Hz (Low), oder hoher Frequenz, 80–100 Hz (High), die vor allem zur Behandlung von Schmerzen (Analgesie) und zur Muskelstimulation eingesetzt wird., Traktion, Interferenztherapie, Kurzwellendiathermie und Rückenstützen erweisen sich in den Studien im Allgemeinen als unwirksam und werden nicht empfohlen. Empfohlen wird aber auch die Berücksichtigung psychologischer Therapien – z.B. kognitive Verhaltenstherapie, progressive Entspannung und Stressabbau durch Achtsamkeit (mindfulness) – und kombinierte physische und psychologische Behandlungen für Menschen mit anhaltenden Rückenschmerzen oder radikulären Schmerzen, die nicht auf frühere Behandlungen angesprochen haben. Für solche Patient*innen, die zudem durch ihre Schmerzen funktionell wesentlich behindert sind, erweisen sich multidisziplinäre Rehabilitationsprogramme mit koordinierter Durchführung einer kontollierten Bewegungstherapie, kognitiver Verhaltenstherapie und medikamentöser Behandlung als effektiver als Standardbehandlungen.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Freburger JK, Holmes GM, Agans RP, et al.: The rising prevalence of chronic low back pain. Arch Intern Med 2009; 169: 251-58.
    Hoy D, March L, Brooks P, et al.: Measuring the global burden of low back pain. Best Pract Res Clin Rheumatol 2010; 24: 155-65.
  • 2
    Jan Hartvigsen, Mark J Hancock, Alice Kongsted, Quinette Louw, Manuela L Ferreira, Stéphane Genevay, Damian Hoy, Jaro Karppinen, Glenn Pransky, Joachim Sieper, Rob J Smeets, Martin Underwood: What low back pain is and why we need to pay attention. The Lancet, 21.3.2018. DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)30480-X. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)30480-X/fulltext.
  • 3
    Nadine E Foster, Johannes R Anema, Dan Cherkin, Roger Chou, Steven P Cohen, Douglas P Gross, Paulo H Ferreira, Julie M Fritz, Bart W Koes, Wilco Peul, Prof Judith A Turner, Chris G Maher: Prevention and treatment of low back pain: evidence, challenges, and promising directions. The Lancet, 21.3.2018. DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)30489-6. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)30489-6/fulltext.
  • 4
    Steffens D, Maher CG, Pereira LS, et al.: Prevention of low back pain: a systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med 2016; 176: 199-208.
    Michaleff ZA, Kamper SJ, Maher CG, Evans R, Broderick C, Henschke N: Low back pain in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis evaluating the effectiveness of conservative interventions. Eur Spine J 2014; 23: 2046-58.
  • 5
    „Education“ im Sinne von Bewegungsschulung oder Rückenschulung.
  • 6
    Die Studien erfassten allerdings primär „sekundäre Prävention“ (Maßnahmen, die der Früherkennung und damit der Möglichkeit der rechtzeitigen Behandlung von Erkrankungen dienen; d.h. sekundäre Prävention wendet sich gezielt an Personen, bei denen Risikofaktoren vorliegen, aber bisher keine daraus resultierende Erkrankung) und die effektiven Programme waren sehr intensiv.
  • 7
    Michaleff ZA, Kamper SJ, Maher CG, Evans R, Broderick C, Henschke N: Low back pain in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis evaluating the effectiveness of conservative interventions. Eur Spine J 2014; 23: 2046-58.
    Stochkendahl MJ, Kjaer P, Hartvigsen J, et al.: National clinical guidelines for non-surgical treatment of patients with recent onset low back pain or lumbar radiculopathy. Eur Spine J 2018; 27: 60-75.
    Qaseem A, Wilt TJ, McLean RM, Forciea MA: Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians. Noninvasive treatments for acute, subacute, and chronic low back pain: a clinical practice guideline from the American College of Physicians. Ann Intern Med 2017; 166: 514-30.
    UK National Institute for Health and Care Excellence: Low back pain and sciatica in over 16s: assessment and management. November 2016. https://www.nice.org.uk/guidance/ng59 (accessed Nov 7, 2017).
  • 8
    Stochkendahl MJ, Kjaer P, Hartvigsen J, et al.: National clinical guidelines for non-surgical treatment of patients with recent onset low back pain or lumbar radiculopathy. Eur Spine J 2018; 27: 60-75.
  • 9
    Qaseem A, Wilt TJ, McLean RM, Forciea MA: Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians. Noninvasive treatments for acute, subacute, and chronic low back pain: a clinical practice guideline from the American College of Physicians. Ann Intern Med 2017; 166: 514-30.
  • 10
    UK National Institute for Health and Care Excellence: Low back pain and sciatica in over 16s: assessment and management. November 2016. https://www.nice.org.uk/guidance/ng59 (Zugriff: 7. November 2017).
  • 11
    Chou R, Deyo R, Friedly J, et al.: Noninvasive treatments for low back pain: comparative effectiveness review No 169. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality, 2016.
  • 12
    Wong JJ, Cote P, Sutton DA, et al.: Clinical practice guidelines for the noninvasive management of low back pain: a systematic review by the Ontario Protocol for Traffic Injury Management (OPTIMA) Collaboration. Eur J Pain 2017; 21: 201-16.
  • 13
    Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) ist eine elektromedizinische Reizstromtherapie mit mono- oder (meist) biphasischen Rechteckimpulsen (Wechselstrom) niedriger Frequenz, 2–4 Hz (Low), oder hoher Frequenz, 80–100 Hz (High), die vor allem zur Behandlung von Schmerzen (Analgesie) und zur Muskelstimulation eingesetzt wird.

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