Maurer, Norbert et al.: Anatomical Evidence of Acupuncture Meridians in the Human Extracellular Matrix
In der Arbeit „Anatomical Evidence of Acupuncture Meridians in the Human Extracellular Matrix: Results from a Macroscopic and Microscopic Interdisciplinary Multicentre Study on Human Corpses“1Norbert Maurer, Helmut Nissel, Monika Egerbacher, Erich Gornik, Patrick Schuller und Hannes Traxler: Anatomical Evidence of Acupuncture Meridians in the Human Extracellular Matrix: Results from a Macroscopic and Microscopic Interdisciplinary Multicentre Study on Human Corpses. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine Volume 2019, Article ID 6976892, 8 pages https://doi.org/10.1155/2019/6976892. gehen Norbert Maurer et al. der Frage nach, welche anatomische Grundlage Meridiane haben.
Hintergrund und Zielsetzung
Akupunktur wird, so die Autor*innen, als Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) seit mehr als 2.500 Jahren zur Unterstützung der Heilung verschiedener Krankheiten und physiologischer Fehlfunktionen eingesetzt. Bezug nehmend auf S. Xutian et al. (2009)2S. Xutian, J. Zhang, and W. Louise: New exploration and understanding of traditional Chinese medicine. American Journal of Chinese Medicine, vol. 37, no. 3, pp. 411–426, 2009. beschreiben die Autor*innen Akupunktur als Behandlungsform mit nachgewiesener therapeutischer Wirkung: „Durch die Einwirkung (durch Nadeln, Laser, Moxa, Druck, etc.) auf bestimmte Bereiche der Hautoberfläche können Funktionsstörungen korrigiert und Schmerzen reduziert werden. Solche Bereiche werden als Akupunkturpunkte definiert.“3Norbert Maurer et al.: Anatomical Evidence of Acupuncture Meridians in the Human Extracellular Matrix: Results from a Macroscopic and Microscopic Interdisciplinary Multicentre Study on Human Corpses. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine Volume 2019, Article ID 6976892, 8 pages https://doi.org/10.1155/2019/6976892.
Meridiane verstehen die Autor*innen im Sinne der TCM als „Zeichenketten, die Akupunkturpunkte verbinden, die als Durchgänge betrachtet werden, durch die Energie durch den Körper fließt. […] Akupunkturbehandlungen sollten den Energiefluss durch das Meridiannetzwerk verbessern.“4Ebd. Zwar gibt es verschiedene Theorien des Meridiansystems und seiner Mechanismen, die Frage der anatomischen/morphologischen Grundlage ist aber, so die AutorInnen, bislang noch immer nicht geklärt.
Neuere Ansätze unterstützen eine Beziehung zwischen Akupunkturpunkten und Meridianen mit dem Fasziennetzwerk5Y. Bai, J. Wang, J.-p. Wu et al.: Review of evidence suggesting that the fascia network could be the anatomical basis for acupoints and meridians in the human body. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, vol. 2011, Article ID 260510, 6 pages, 2011. : Anatomische Beobachtungen (Scans) zeigen große Übereinstimmungen zwischen dem Meridiansystem und dem Fasziennetzwerken, zudem unterstützen physiologische, histologische und klinische Beobachtungen diese Hypothese.6C. Yu, K. Zhang, G. Lu et al.: Characteristics of acupuncture meridians and acupoints in animals. Revue Scientifique et Technique de l’OIE, vol. 13, no. 3, pp. 927–933, 1994.
J. Kim and D.-I. Kang: Positioning standardized acupuncture points on the whole body based on X-ray computed tomography images. Medical Acupuncture, vol. 26, no. 1, pp. 40–49, 2014.
Ziel der vorliegenden Studie war es, nach (replizierbaren) anatomischen Strukturen zu suchen, die sich auf Meridiane beziehen könnten und damit zu klären, ob es ein makro- und mikroanatomisches Substrat für Meridiane gibt.
Durchführung
An der Medizinischen Universität Wien (Abteilung für Anatomie und Zellbiologie) wurden vier Proben und zusätzlich zwei Unterschenkel präpariert. Das Ziel war es, Gefäßnervenbündel7Neurovaskuläre Bündel (vascular nerve bundle, VBN) sind Nerven, Arterien, Venen und Lymphgefäße, die zusammen eine Funktionseinheit bilden. einzelner Akupunkturpunkte im Verlauf des zugehörigen Meridians darzustellen.8Dabei wurden zunächst Haut und Unterhaut entfernt, bis die oberfächliche Fazie gefunden wurde. Danach wurden perforierende (durchdringende) Gefäßnervenbündel (vascular nerve bundle, VBN) vom subkutanen Fettgewebe getrennt und Schleimbeutel (wie der Schleimbeutel von Knie und Ellbogen, Bursa patellaris and olecrani) entfernt.
Aus Ermangelung einer oberflächlichen Faszie im Gesichtsbereich wurde die Faszie der Ohrspeicheldrüse (Parotisfaszie) und die Gesichtsmuskulatur als oberflächliche Schicht definiert.
Die Akupunkturpunkte wurden vorschriftsgemäß bestimmt (und fotografisch dokumentiert), anschließend bis zur Panniculusfaszie (äußere/oberflächliche Bauchwandfaszie, fascia superficialis corporis) seziert.
Die entnommenen Gewebeproben wurden in Formalin fixiert und für die histologische Schnittproduktion in Paraffin eingebettet. Die Abschnitte wurden mit Hämatoxylin & Eosin (HE) gefärbt und für die neuronale Expression durch immunhistochemischen Nachweis von S-100 (DAKO, Glostrup, DK, Verdünnung 1:1200, Nachweisträger DAB) gefärbt.
Ergebnisse
Die Studie zeigt, wie die Autor*innen ausführen, eine enge Verbindung von Akupunkturpunkten mit Strukturen des Bindegewebes. Da sich übereinstimmende Verläufe von Abschnitten der menschlichen extrazellulären Matrix mit einem Faserverlauf wie im Verlauf des Meridians finden, schlagen die AutorInnen vor, dass das anatomische Substrat des Meridians die Faszie superficialis corporis ist, wie es auch schon in anderen in wissenschaftlichen Arbeiten vorgeschlagen wurde.9D. Zhang, W. Yao, G. Ding et al.: A fluid mechanics model of tissue fluid flow in limb connective tissue—a mechanism of acupuncture signal transmission. Journal of Hydrodynamics, vol. 21, no. 5, pp. 675–684, 2009.
H. M. Langevin, D. L. Churchill, and M. J. Cipolla: Mechanical signaling through connective tissue: a mechanism for the therapeutic effect of acupuncture. The FASEB Journal, vol. 15, no. 12, pp. 2275–2282, 2001.
X. Yu, G. Ding, H. Huang, J. Lin, W. Yao, and R. Zhan: Role of collagen fibers in acupuncture analgesia therapy on rats. Connective Tissue Research, vol. 50, no. 2, pp. 110–120, 2009. Zudem hat sich gezeigt, dass Teile von Muskeln, Sehnen und Bändern dem Meridianverlauf folgen (Blasenmeridian, Dickdarmmeridian).
Nach H. Heine10H. Heine: Anatomische Struktur der Akupunkturpunkte. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur, vol. 31, pp. 26–30, 1988.
H. Heine: Akupunkturtherapie. Perforationen der oberflächlichen Körperfaszie durch kutane Gefäß-Nervenbündel. Therapeutikon, vol. 4, pp. 238–244, 1988. können Bezüge der Gefäßnervenbündel zur Anatomie des Meridians hergestellt werden. Er fand, dass in 80 Prozent der Akupunkturpunkte ein Bündel von Gefäßnerven des Weichbindegewebes durch Löcher in den Faszien zur Haut gelangt. Dabei handelt es sich um eine perforierende Struktur, die aus einem vegetativen Nerv, einer Arterie und einer Vene besteht und von losem Bindegewebe umgeben ist. H. Heine betrachtet Gefäßnervenbündel als ein Strukturprinzip des Akupunkturpunktes. Die gleichen anatomischen Strukturen wurden von Egerbacher auch bei Rindern und Hunden gefunden.11M. Egerbacher: Veterinärakupunktur, Anatomische und histologische Struktur ausgewählter Akupunkturpunkte bei Rind und Schwein. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur, vol. 36, no. 4, 1993.
Egerbacher gibt in seiner Arbeit keinen Prozentsatz der gefundenen Gefäßnervenbündel pro präpariertem Akupunkturpunkt an.
In der vorliegenden Arbeit zeigten sich Unterschiede in der Dicke der Faszie abhängig von ihrer Lokalisation, die aus zwei bis drei Schichten Kollagenfasern bestand. Histologisch fanden sich keine erkennbaren Unterschiede zwischen den „Verum“-Proben (Proben vom Meridian) und den Vergleichsproben (Placebopräparat), allerdings konnte an den Proben des Magen- als auch Dünndarmmeridians (makroskopisch und mikroskopisch) – im Gegensatz zum Placebo-Präparat – eine klare Veränderung des Faserverlaufs im Bindegewebe nachgewiesen werden. Darüber hinaus gab es keine histologischen Unterschiede zwischen den Geweben an Akupunkturpunkten und Vergleichsstellen, weder in Hinblick auf die Dichte noch auf die Lage der Nervenfasern.12In allen Präparaten konnten kleinere Nervenfaserbündel oder der perivaskuläre Plexus nachgewiesen werden.
Als Plexus bezeichnet man ein Netzwerk oder eine Verflechtung von Leitungsbahnen des Organismus, d.h. von Venen, Arterien, Lymphgefäßen oder Nervenbahnen. Perivaskulär bedeutet „um ein Gefäß herum“ oder „in der Nähe eines Gefäßes“.
Um die Annahme von H. Heine zu überprüfen, haben die Autor*innen an insgesamt zehn Unterschenkel jeweils fünf Akupunkturpunkte des Magenmeridians und fünf des Gallbenblasenmeridians seziert, insgesamt also 100 Akupunkturpunkte. Dabei fanden sie aber nur in zwei Akupunkturpunkten Gefäßnervenbündel, also nur in zwei Prozent aller untersuchten Stellen.
Conclusio
Die Studie von N. Maurer et al. unterstützt mit ihren anatomischen, morphologischen und histologischen Untersuchungen an menschlichen Leichen die Hypothese, dass das Fasziennetzwerk des menschlichen Körpers das physikalische Substrat sein könnte, das durch die Meridiane der Traditionellen Chinesischen Medizin repräsentiert wird. Darüber hinaus folgen auch Teile von Muskeln, Sehnen und Bändern dem Meridianverlauf.13Das zeigte sich in der vorliegenden Untersuchung beim Blasen- und Dickdarmmeridian.
Da Gefäßnervenbündel nur in wenigen Akupunkturpunkten gefunden werden konnten und andererseits Gefäßnervenbündel auch an Stellen, wo keine Akupunkturpunkte liegen, gehen die Autor*innen davon aus, dass der von Heine propagierte Zusammenhang zwischen Gefäßnervenbündeln und Akupunkturpunkten (und damit die Annahme, dass Akupunkturpunkte entlang der Nervenkanäle lokalisiert sind) die Funktionen und Wirkungen von Akupunkturpunkten nicht erklärt.
Einschränkungen
Einschränkungen in den Aussagen ergeben sich, wie die Autor*innen anmerken, durch die Fixierung der Proben durch Formaldehyd, da dabei 80 Prozent der Proteine des Gewebes denaturieren.14Die Autor*innen schlagen deshalb weitere Untersuchungen an unfixierten Gewerbeproben vor.
Darüber hinaus konnten die Autor*innen nicht die Faszie eines ganzen Meridians darstellen. Einer der Gründe könnte die schwierige Präparation wegen der Gewebeadhäsion sein. Auch konnten keine Faserverläufe der Fascia superficialis corporis an Oberschenkel und Vorfuß gefunden werden, die einem Meridianverlauf entsprechen würden.15Im Vorfußbereich wurden keine dem Magenmeridian entsprechenden Verläufe der Fascia corporis externa gefunden. Die Aponeurosen tendinum extensorum digitorum des Beines folgen in einem ihrer Teile dem Verlauf des Magenmeridians (Aponeurosen sind bindegewebige flächige Strukturen, die als sehniger Muskelansatz dienen). Die Autor*innen gehen deshalb davon aus, dass auch andere Teile der Faszie, aber auch Sehnenverläufe den Meridianverlauf darstellen (können).
Anmerkungen/Fußnoten
- 1Norbert Maurer, Helmut Nissel, Monika Egerbacher, Erich Gornik, Patrick Schuller und Hannes Traxler: Anatomical Evidence of Acupuncture Meridians in the Human Extracellular Matrix: Results from a Macroscopic and Microscopic Interdisciplinary Multicentre Study on Human Corpses. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine Volume 2019, Article ID 6976892, 8 pages https://doi.org/10.1155/2019/6976892.
- 2S. Xutian, J. Zhang, and W. Louise: New exploration and understanding of traditional Chinese medicine. American Journal of Chinese Medicine, vol. 37, no. 3, pp. 411–426, 2009.
- 3Norbert Maurer et al.: Anatomical Evidence of Acupuncture Meridians in the Human Extracellular Matrix: Results from a Macroscopic and Microscopic Interdisciplinary Multicentre Study on Human Corpses. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine Volume 2019, Article ID 6976892, 8 pages https://doi.org/10.1155/2019/6976892.
- 4Ebd.
- 5Y. Bai, J. Wang, J.-p. Wu et al.: Review of evidence suggesting that the fascia network could be the anatomical basis for acupoints and meridians in the human body. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, vol. 2011, Article ID 260510, 6 pages, 2011.
- 6C. Yu, K. Zhang, G. Lu et al.: Characteristics of acupuncture meridians and acupoints in animals. Revue Scientifique et Technique de l’OIE, vol. 13, no. 3, pp. 927–933, 1994.
J. Kim and D.-I. Kang: Positioning standardized acupuncture points on the whole body based on X-ray computed tomography images. Medical Acupuncture, vol. 26, no. 1, pp. 40–49, 2014. - 7Neurovaskuläre Bündel (vascular nerve bundle, VBN) sind Nerven, Arterien, Venen und Lymphgefäße, die zusammen eine Funktionseinheit bilden.
- 8Dabei wurden zunächst Haut und Unterhaut entfernt, bis die oberfächliche Fazie gefunden wurde. Danach wurden perforierende (durchdringende) Gefäßnervenbündel (vascular nerve bundle, VBN) vom subkutanen Fettgewebe getrennt und Schleimbeutel (wie der Schleimbeutel von Knie und Ellbogen, Bursa patellaris and olecrani) entfernt.
Aus Ermangelung einer oberflächlichen Faszie im Gesichtsbereich wurde die Faszie der Ohrspeicheldrüse (Parotisfaszie) und die Gesichtsmuskulatur als oberflächliche Schicht definiert.
Die Akupunkturpunkte wurden vorschriftsgemäß bestimmt (und fotografisch dokumentiert), anschließend bis zur Panniculusfaszie (äußere/oberflächliche Bauchwandfaszie, fascia superficialis corporis) seziert.
Die entnommenen Gewebeproben wurden in Formalin fixiert und für die histologische Schnittproduktion in Paraffin eingebettet. Die Abschnitte wurden mit Hämatoxylin & Eosin (HE) gefärbt und für die neuronale Expression durch immunhistochemischen Nachweis von S-100 (DAKO, Glostrup, DK, Verdünnung 1:1200, Nachweisträger DAB) gefärbt. - 9D. Zhang, W. Yao, G. Ding et al.: A fluid mechanics model of tissue fluid flow in limb connective tissue—a mechanism of acupuncture signal transmission. Journal of Hydrodynamics, vol. 21, no. 5, pp. 675–684, 2009.
H. M. Langevin, D. L. Churchill, and M. J. Cipolla: Mechanical signaling through connective tissue: a mechanism for the therapeutic effect of acupuncture. The FASEB Journal, vol. 15, no. 12, pp. 2275–2282, 2001.
X. Yu, G. Ding, H. Huang, J. Lin, W. Yao, and R. Zhan: Role of collagen fibers in acupuncture analgesia therapy on rats. Connective Tissue Research, vol. 50, no. 2, pp. 110–120, 2009. - 10H. Heine: Anatomische Struktur der Akupunkturpunkte. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur, vol. 31, pp. 26–30, 1988.
H. Heine: Akupunkturtherapie. Perforationen der oberflächlichen Körperfaszie durch kutane Gefäß-Nervenbündel. Therapeutikon, vol. 4, pp. 238–244, 1988. - 11M. Egerbacher: Veterinärakupunktur, Anatomische und histologische Struktur ausgewählter Akupunkturpunkte bei Rind und Schwein. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur, vol. 36, no. 4, 1993.
Egerbacher gibt in seiner Arbeit keinen Prozentsatz der gefundenen Gefäßnervenbündel pro präpariertem Akupunkturpunkt an. - 12In allen Präparaten konnten kleinere Nervenfaserbündel oder der perivaskuläre Plexus nachgewiesen werden.
Als Plexus bezeichnet man ein Netzwerk oder eine Verflechtung von Leitungsbahnen des Organismus, d.h. von Venen, Arterien, Lymphgefäßen oder Nervenbahnen. Perivaskulär bedeutet „um ein Gefäß herum“ oder „in der Nähe eines Gefäßes“. - 13Das zeigte sich in der vorliegenden Untersuchung beim Blasen- und Dickdarmmeridian.
- 14Die Autor*innen schlagen deshalb weitere Untersuchungen an unfixierten Gewerbeproben vor.
- 15Im Vorfußbereich wurden keine dem Magenmeridian entsprechenden Verläufe der Fascia corporis externa gefunden. Die Aponeurosen tendinum extensorum digitorum des Beines folgen in einem ihrer Teile dem Verlauf des Magenmeridians (Aponeurosen sind bindegewebige flächige Strukturen, die als sehniger Muskelansatz dienen).