Tuina verbessert die Muskelfunktion nach einem Schlaganfall

Lähmung

Lesedauer: 7 Minuten

Die Kombination von Physiotherapie und Tuina-Massagen ist eine effektive Methode zur Verbesserung der motorischen Fähigkeiten und zur Reduktion von Spastiken bei Überlebenden eines Schlaganfalls, insbesondere im subakuten Stadium. Dies belegt eine Metaanalyse von Cabanas-Valdés et al. (20211Cabanas-Valdés, R., Calvo-Sanz, J., Serra-Llobet, P., Alcoba-Kait, J., González-Rueda, V., & Rodríguez-Rubio, P. R. (2021): The Effectiveness of Massage Therapy for Improving Sequelae in Post-Stroke Survivors. A Systematic Review and Meta-Analysis. International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(9), 4424. https://doi.org/10.3390/ijerph18094424 bzw. https://www.mdpi.com/1660-4601/18/9/4424.), die 18 randomisierte kontrollierte Studien untersuchte. Die Ergebnisse zeigen, dass diese kombinierte Therapie einen deutlichen positiven Einfluss auf die Rehabilitation von Schlaganfallpatient*innen hat.

Hintergrund

Ein Schlaganfall gehört zu den häufigsten Ursachen für dauerhafte Behinderungen bei Erwachsenen. Betroffene leiden oft unter verschiedenen Symptomen des oberen Motoneuronsyndroms2Das Motoneuronensyndrom bezeichnet eine Gruppe von neurodegenerativen Erkrankungen, die die Nervenzellen (Motoneurone) betreffen, die für die Steuerung der willkürlichen Muskelbewegungen verantwortlich sind. Diese Erkrankungen führen zu fortschreitender Muskelschwäche, Muskelschwund und Funktionsverlust. Die Autor*innen verweisen auf Donkor, E.S. Stroke in the21stCentury: A Snapshot of the Burden, Epidemiology, and Quality of Life. Stroke Res. Treat. 2018, 2018, 3238165., wie Muskelschwäche, Spastizität, Koordinationsstörungen und einer fehlerhaften Zusammenarbeit von Agonisten und Antagonisten. Bis zu 50 % der Schlaganfallüberlebenden bleiben langfristig in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Physiotherapie spielt eine entscheidende Rolle, um diese Einschränkungen zu verringern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.3Die Autor*innen verweisen auf Veerbeek, J.M.; Van Wegen, E.; Van Peppen, R.; Van Der Wees, P.J.; Hendriks, E.; Rietberg, M.; Kwakkel, G. What Is the Evidence for Physical Therapy Poststroke? A Systematic Review and Meta-Analysis. PLoS ONE 2014, 9, e87987.

Während zahlreiche Studien die positiven Effekte von therapeutischen Massagen, etwa bei Krebserkrankungen, Parkinson oder Demenz, belegen, gibt es bislang nur begrenzte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirksamkeit bei Schlaganfallüberlebenden. Vor diesem Hintergrund analysierten Cabanas-Valdés et al. vorhandene Studien, um die Evidenz für Verbesserungen in Bereichen wie Motorik, Spastik, Alltagsaktivitäten, Angst, Schmerz, Gleichgewicht, Gangbild, Behinderung und Lebensqualität bei erwachsenen Schlaganfallüberlebenden zu bewerten.

Durchführung

Die Forscher*innen führten eine systematische Überprüfung der vorliegenden Studien durch, um die Wirkung von therapeutischen Massagen bei Schlaganfallüberlebenden zu bewerten. Aufgenommen wurden Studien in Chinesisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Englisch, die zwischen Januar 1961 und Dezember 2020 veröffentlicht wurden. Da nur RCTs (randomisierte kontrollierte Studien) analysiert wurden, wurden alle anderen Veröffentlichungen ausgeschlossen, wie z. B. Kommentare, Reviews, Beobachtungsstudien, Bücher, Poster/Abstracts, Fallberichte, nicht-randomisierte Studien, Protokolle, systematische Reviews und Praxisleitlinien.

Therapeutische Massagen4Allen Massagetechniken ist gemeinsam, so führen die Autor*innen ihr Verständnis aus, dass mechanische Kräfte durch „Mechanotransduktion“ in die Weichteile eingeleitet werden, was zu einer Erhöhung von sowohl Temperatur als auch der Durchblutung der Muskulatur führen kann und damit die Nachgiebigkeit der Muskeln erhöht und die Muskelsteifigkeit verringert. Sie unterscheiden dabei verschiedene Arten der therapeutischen Massage, die von der in der westlichen Welt am weitesten verbreiteten schwedischen (klassischen) Massage bis hin zur chinesischen (Tuina), indischen (Dalk) und thailändischen Massage reichen. wurden jeweils mit keiner Behandlung, einer Scheinbehandlung oder einer aktiven Behandlung verglichen, wobei die Autor*innen die therapeutische Massage als eine strukturierte und zielgerichtete Manipulation des „Weichgewebes“ (soft-tissue) verstehen, die durch den Einsatz von Fingern, Händen, Unterarmen, Ellbogen, Knien und/oder Füßen (mit oder ohne Verwendung von Ölen oder Cremen, Wärme und Kälte) mit dem Ziel einer therapeutischen Veränderung durchgeführt wird.5Die Autor*innen verweisen auf Kennedy, A.B.; Cambron, J.A.; Sharpe, P.A.; Travillian, R.S.; Saunders, R.P. Process for massage therapy practice and essential assessment. J. Bodyw. Mov. Ther. 2016, 20, 484–496.

Gesucht6Die Suche erfolgte in Medline/PubMed, Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL), Physiotherapy Evidence Database (PEDro), Scielo, Tripdatabase, Web of Science, Scopus, CINHAL und Epistemonikos, aber auch manuell. wurde gemäß dem PICO-Schema7Das PICO-Schema wird in der evidenzbasierten Medizin dazu genutzt, die Ergebnisse einer Fragestellung möglichst übersichtlich für einen Behandler aufzubereiten und steht für P: Patient/Population (Patient/Population und sein Problem), I: Intervention (Art der Behandlung), C: Vergleich (Alternativmaßnahme oder keine Behandlung) und O: Outcome (Behandlungsziel), nach Studien mit erwachsenen Überlebenden nach einem Schlaganfall (P), die therapeutische Massage allein8Die Massagen erfolgen durch den Einsatz von Fingern, Händen, Unterarmen, Ellenbogen, Knien und/oder Füßen (mit oder ohne Verwendung von Einreibungen, Wärme und Kälte). oder in Kombination mit einem anderen Rehabilitationsansatz oder konventioneller Physiotherapie erhielten (I). Verglichen wurden sie mit Patient*innen, die einen anderen Rehabilitationsansatz oder konventionelle Physiotherapie erhielten (C). Das untersuchte Outcome der Studien waren Veränderungen in der motorischen Funktion der oberen/unteren Gliedmaßen, Spastizität, Aktivitäten des täglichen Lebens, Angst, Schmerzen, Gleichgewicht, Gangbild, Schlaganfallbehinderung und Lebensqualität mit oder ohne Nachuntersuchung (O).

Studienteilnehmer*innen

Nach Bewertung der Studien in Hinblick auf ihre Validität verblieben 18 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 1989 Patient*innen in der Studie. 1273 der damit erfassten Studienteilnehmer*innen waren männlich, 683 weiblich. Das mittlere Alter der Patient*innen betrug 60 Jahre, die Altersspanne reichte von 32 bis 86 Jahre. 1057 Studienteilnehmer*innen hatten einen ischämischen und 511 einen hämorrhagischen Schlaganfall9Beim ischämischen Schlaganfall, der mit etwa 85 % die häufigste Form darstellt, kommt es zu einem Verschluss der Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen. Der hämorrhagische Schlaganfall hingegen entsteht, wenn ein Blutgefäß im Gehirn zerreißt, entweder als Folge eines Aneurysmas (Anschwellung eines Blutgefäßes) oder einer arterio-venösen Malformation (genetische Anomalie eines Blutgefäßes). erlitten, fünf Studien gaben diese Informationen nicht an. 439 Patient*innen hatten eine linksseitige Hemiparese, 420 eine rechtsseitige Hemiparese und bei 63 Personen war sie beidseitig (bei elf Studien wurden keine Angaben gemacht). Das Alter der Teilnehmer*innen reichte von 32 bis 86 Jahren, wobei der Durchschnitt der meisten Studien bei 60 Jahren lag. Die meisten Studien führten ihre Interventionen in der subakuten Schlaganfallphase (≤3 Monate) durch, allerdings nur vier Studien hatten ein Follow-up von 3 Monaten (eine sogar nach 6 Monaten).

Ergebnisbewertung

11 der 18 Studien bewerteten die motorische Funktion, 10 Studien verwendeten die Fugl-Meyer-Bewertung10Die Fugl-Meyer-Bewertung ist ein schlaganfallspezifischer, leistungsbezogener Beeinträchtigungsindex und beurteilt die motorischen Funktionen, das Empfinden, das Gleichgewicht, den Bewegungsumfang der Gelenke und die Gelenkschmerzen bei Patient*innen mit Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall zu beurteilen. Die Autor*innen verweisen auf Sullivan, K.J.; Tilson, J.K.; Cen, S.Y.; Rose, D.K.; Hershberg, J.; Correa, A.; Gallichio, J.; McLeod, M.; Moore, C.; Wu, S.S.; et al. Fugl-Meyer Assessment of Sensorimotor Function After Stroke: Standardized training procedure for clinical practice and clinical trials. Stroke 2011, 42, 427–432., 6 Studien die Spastik und alle 18 Studien die modifizierte Ashworth-Skala11Die modifizierte Ashworth Skala bewertet Spastizitäten in sechs verschiedenen Graden, von Grad 0 (kein erhöhter Muskeltonus) bis Grad 5 (die betroffene Extremität ist rigide in Flexion oder Extension). Die Autor*innen verweisen auf Bohannon, R.W.; Smith, M.B. Interrater Reliability of a Modified Ashworth Scale of Muscle Spasticity. Phys. Ther. 1987, 67, 206–207..

Angewandte Massagen

Nur in vier Studien wurde die angewandte Massage nicht kombiniert. 12 Studien führten Tuina-Massagen durch, sechs von ihnen kombinierten sie mit Physiotherapie, drei mit Akupunktur, zwei mit Akupunktur und Physiotherapie und eine mit Tuina in Kombination mit Heilpflanzen. Drei Studien wandten indische Massage an, eine Studie eine langsame Rückenmassage, eine Studie Thai Massage und eine weitere Studie klassische Massage in Verbindung mit einem Fußbad und Physiotherapie.

Die Anzahl der Massagesitzungen lag zwischen 7 und 40. Die Häufigkeit war in der Regel einmal pro Tag und die Behandlungsdauer reichte von 1 bis 8 Wochen, wobei die Massagezeit zwischen 10 und 60 Minuten lag.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Cabanas-Valdés, R., Calvo-Sanz, J., Serra-Llobet, P., Alcoba-Kait, J., González-Rueda, V., & Rodríguez-Rubio, P. R. (2021): The Effectiveness of Massage Therapy for Improving Sequelae in Post-Stroke Survivors. A Systematic Review and Meta-Analysis. International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(9), 4424. https://doi.org/10.3390/ijerph18094424 bzw. https://www.mdpi.com/1660-4601/18/9/4424.
  • 2
    Das Motoneuronensyndrom bezeichnet eine Gruppe von neurodegenerativen Erkrankungen, die die Nervenzellen (Motoneurone) betreffen, die für die Steuerung der willkürlichen Muskelbewegungen verantwortlich sind. Diese Erkrankungen führen zu fortschreitender Muskelschwäche, Muskelschwund und Funktionsverlust. Die Autor*innen verweisen auf Donkor, E.S. Stroke in the21stCentury: A Snapshot of the Burden, Epidemiology, and Quality of Life. Stroke Res. Treat. 2018, 2018, 3238165.
  • 3
    Die Autor*innen verweisen auf Veerbeek, J.M.; Van Wegen, E.; Van Peppen, R.; Van Der Wees, P.J.; Hendriks, E.; Rietberg, M.; Kwakkel, G. What Is the Evidence for Physical Therapy Poststroke? A Systematic Review and Meta-Analysis. PLoS ONE 2014, 9, e87987.
  • 4
    Allen Massagetechniken ist gemeinsam, so führen die Autor*innen ihr Verständnis aus, dass mechanische Kräfte durch „Mechanotransduktion“ in die Weichteile eingeleitet werden, was zu einer Erhöhung von sowohl Temperatur als auch der Durchblutung der Muskulatur führen kann und damit die Nachgiebigkeit der Muskeln erhöht und die Muskelsteifigkeit verringert. Sie unterscheiden dabei verschiedene Arten der therapeutischen Massage, die von der in der westlichen Welt am weitesten verbreiteten schwedischen (klassischen) Massage bis hin zur chinesischen (Tuina), indischen (Dalk) und thailändischen Massage reichen.
  • 5
    Die Autor*innen verweisen auf Kennedy, A.B.; Cambron, J.A.; Sharpe, P.A.; Travillian, R.S.; Saunders, R.P. Process for massage therapy practice and essential assessment. J. Bodyw. Mov. Ther. 2016, 20, 484–496.
  • 6
    Die Suche erfolgte in Medline/PubMed, Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL), Physiotherapy Evidence Database (PEDro), Scielo, Tripdatabase, Web of Science, Scopus, CINHAL und Epistemonikos, aber auch manuell.
  • 7
    Das PICO-Schema wird in der evidenzbasierten Medizin dazu genutzt, die Ergebnisse einer Fragestellung möglichst übersichtlich für einen Behandler aufzubereiten und steht für P: Patient/Population (Patient/Population und sein Problem), I: Intervention (Art der Behandlung), C: Vergleich (Alternativmaßnahme oder keine Behandlung) und O: Outcome (Behandlungsziel),
  • 8
    Die Massagen erfolgen durch den Einsatz von Fingern, Händen, Unterarmen, Ellenbogen, Knien und/oder Füßen (mit oder ohne Verwendung von Einreibungen, Wärme und Kälte).
  • 9
    Beim ischämischen Schlaganfall, der mit etwa 85 % die häufigste Form darstellt, kommt es zu einem Verschluss der Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen. Der hämorrhagische Schlaganfall hingegen entsteht, wenn ein Blutgefäß im Gehirn zerreißt, entweder als Folge eines Aneurysmas (Anschwellung eines Blutgefäßes) oder einer arterio-venösen Malformation (genetische Anomalie eines Blutgefäßes).
  • 10
    Die Fugl-Meyer-Bewertung ist ein schlaganfallspezifischer, leistungsbezogener Beeinträchtigungsindex und beurteilt die motorischen Funktionen, das Empfinden, das Gleichgewicht, den Bewegungsumfang der Gelenke und die Gelenkschmerzen bei Patient*innen mit Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall zu beurteilen. Die Autor*innen verweisen auf Sullivan, K.J.; Tilson, J.K.; Cen, S.Y.; Rose, D.K.; Hershberg, J.; Correa, A.; Gallichio, J.; McLeod, M.; Moore, C.; Wu, S.S.; et al. Fugl-Meyer Assessment of Sensorimotor Function After Stroke: Standardized training procedure for clinical practice and clinical trials. Stroke 2011, 42, 427–432.
  • 11
    Die modifizierte Ashworth Skala bewertet Spastizitäten in sechs verschiedenen Graden, von Grad 0 (kein erhöhter Muskeltonus) bis Grad 5 (die betroffene Extremität ist rigide in Flexion oder Extension). Die Autor*innen verweisen auf Bohannon, R.W.; Smith, M.B. Interrater Reliability of a Modified Ashworth Scale of Muscle Spasticity. Phys. Ther. 1987, 67, 206–207.

Pages: 1 2