Auch mäßiger Alkoholkonsum wirkt lebensverkürzend

Wein

Während lange Zeit galt, dass mäßiger Alkoholkonsum gut für die Gesundheit wäre – das Feierabendbier gilt als enspannend, der Schnaps nach dem Essen als verdauungsfördernd und ein Glas Rotwein soll vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützen -, wird diese Annahme von immer mehr Studien widerlegt. In vielen Studien, so kritisieren Forscher*innen (z.B. Rudolph Schutte, Lee Smith, Goya Wannamethee: Alcohol – The myth of cardiovascular protection1Rudolph Schutte, Lee Smith, Goya Wannamethee: Alcohol – The myth of cardiovascular protection. Clinical Nutrition Volume 41, Issue 2, 348-355, February 2022. DOI: 10.1016/j.clnu.2021.12.009.), in denen Menschen, die wenig oder moderat trinken, mit Menschen, die gar nichts trinken, verglichen werden, gibt es gravierende Verzerrungen, weil viele „Abstinenzler“ aus gesundheitlichen Gründen auf Alkohol verzichten – beispielsweise, weil sie eine akute Krankheit haben. Diese Personen sind damit generell „kränker“ als die Gruppe der Menschen, die wenig bis moderat trinken. Darüber, wie gut oder schlecht Alkohol für ansonsten gesunde Menschen ist, sagt dieser Vergleich dann aber nichts mehr aus.

Auch in der Studie von Schutte et al., die das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht, zeigte sich, dass Menschen, die keinen Alkohol trinken, im Schnitt älter und weniger körperlich aktiv sind, sowie einen höheren BMI und einen höheren Blutdruck haben. Das aber sind alles Faktoren, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Aus diesem Grund verglichen die Forschenden Menschen, die sehr wenig tranken, mit solchen, die mehr tranken, und kamen zum Ergebnis, dass selbst moderater Alkoholkonsum das Risiko erhöht, durch ein kardiovaskuläres Ereignis mit Beteiligung des Herzens oder der Blutgefäße im Krankenhaus zu landen.2In die Studie waren mehr als 300.000 Teilnehmer*innen einbezogen.

Menschen über 60 Jahre, die regelmäßig Alkohol trinken, haben ein erhöhtes Risiko

Eine aktuelle, im August 2024 veröffentlichte Studie von Ortolá et al.3Rosario Ortolá, Mercedes Sotos-Prieto, Esther García-Esquinas, Iñaki Galán, Fernando Rodríguez-Artalejo: Alcohol Consumption Patterns and Mortality Among Older Adults With Health-Related or Socioeconomic Risk Factors. JAMA Netw Open. 2024;7(8):e2424495. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.24495. https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2822215. zeigt – aufbauend auf zahlreichen anderen Studien der letzten Zeit -, dass Menschen über 60 Jahre, die regelmäßig Alkohol trinken, ein erhöhtes Risiko für einen frühen Tod haben, insbesondere durch Krebs, und/oder Probleme mit dem Herzen und den Blutgefäßen. Das, so die Autor*innen, bedeutet die letztendliche Abkehr von den bisherigen Botschaften (auch von Ärzt*innen), wonach ein moderater Alkoholkonsum (ein oder zwei Drinks pro Tag) nicht gefährlich sei.

Hintergrund

Alkoholkonsum gilt als eine der wesentlichen Ursachen für Morbidität und Mortalität. Er ist, so die Autor*innen, für etwa 5,1 % der weltweiten Krankheitslast und 5,3 % aller Todesfälle verantwortlich und verursacht erhebliche soziale und wirtschaftliche Verluste, was ihn zu einem großen Problem für die öffentliche Gesundheit macht.4Die Autor*innen verweisen auf World Health Organization. Global status report on alcohol and health 2018. https://iogt.org/wp-content/uploads/2018/09/WHO-GSR-Alcohol-2018.pdf. Für die bisher angenommenen Vorteile des Konsums geringer Mengen Alkohol macht die Forschung der letzten Jahre mehrere methodische Probleme verantwortlich:

  • Selektionsverzerrungen könnten zu einer systematischen Unterschätzung der alkoholbedingten Belastung führen, beispielsweise durch Menschen, die keinen Alkohol trinken („Abstinenzler“). Die scheinbar geringere Sterblichkeit von moderaten Trinkern im Vergleich zu Abstinenzlern kann möglicherweise durch das höhere Sterberisiko der Abstinenzler erklärt werden, da sie ehemalige Trinker umfassen, die aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands mit dem Alkohol aufgehört haben, sowie lebenslange Abstinenzler, die oft einen schlechteren Lebensstil und schlechtere Gesundheitsmerkmale aufweisen als regelmäßige Trinker.5Die Autor*innen verweisen auf Ng Fat L, Shelton N: Associations between self-reported illness and non-drinking in young adults. Addiction. 2012;107(9):1612-1620. doi:10.1111/j.1360-0443.2012.03878.x, die in ihrer Studie die Zusammenhänge zwischen selbstberichteten Krankheiten, sozialen Faktoren und Gesundheitsverhalten und dem Verzicht auf Alkohol bei jungen Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren erforschten.
  • Auch der Healthy-Drinker/Survivor-Bias, der durch die Überrepräsentation gesünderer Trinker, die die schädlichen Auswirkungen von Alkohol überlebt haben, verursacht wird, könnte die Vergleiche verzerren, insbesondere im höheren Alter.6Die Autor*innen verweisen auf Naimi TS, Stockwell T, Zhao J et al.: Selection biases in observational studies affect associations between ‘moderate’ alcohol consumption and mortality. Addiction.2017;112(2):207-214. doi:10.1111/add.13451.
  • Darüber hinaus können Trinkgewohnheiten den Zusammenhang zwischen der konsumierten Alkoholmenge und der Gesundheit beeinflussen: So wurde die Vorliebe für Wein mit einer geringeren Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Diabetes in Verbindung gebracht. Zudem wird auch das Trinken zu den Mahlzeiten mit einem geringeren Risiko für Todesfälle aller Ursachen sowie jener, die nicht durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs bedingt sind, in Verbindung gebracht, ebenso mit Gebrechlichkeit.7Die Autor*innen verweisen auf Gea A, Bes-Rastrollo M, Toledo E. et al.: Mediterranean alcohol-drinking pattern and mortality in the SUN (Seguimiento Universidad de Navarra) Project: a prospective cohort study. Br J Nutr. 2014;111(10):1871-1880. doi:10.1017/S0007114513004376, wobei die positiven Eigenschaften von Wein auf seinen hohen Polyphenolgehalt zurückgeführt werden. Zusammen mit einem moderaten Konsum könnten diese Faktoren eine „gute“ Option für Alkoholkonsument*innen bedingen.
  • Die gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums könnten bei Personen mit sozioökonomischen und/oder gesundheitlichen Risikofaktoren größer sein: Zum einen sind ältere Erwachsene mit gesundheitlichen Risikofaktoren anfälliger für die schädlichen Folgen des Alkoholkonsums, da sie eine höhere Morbidität, einen höheren Konsum von mit Alkohol interagierenden Medikamenten und eine geringere Toleranz aufweisen. Andererseits aber haben einige Studien allerdings auch positive Auswirkungen von Alkohol auf „ungesundes“ Altern oder Gebrechlichkeit festgestellt, insbesondere bei leichtem Alkoholkonsum8Die Autor*innen verweisen auf Daskalopoulou C, Stubbs B, Kralj C, Koukounari A, Prince M, Prina AM: Associations of smoking and alcohol consumption with healthy ageing: a systematic review and meta-analysis of longitudinal studies. BMJ Open. 2018;8(4):e019540. doi:10.1136/bmjopen-2017-019540 und Kojima G, Liljas A, Iliffe S, Jivraj S, Walters K: A systematic review and meta-analysis of prospective associations between alcohol consumption and incident frailty. Age Ageing. 2018;47(1):26-34. doi:10.1093/ageing/afx086. bei einem mediterranen Trinkmuster, definiert als moderater Alkoholkonsum: vorzugsweise Wein und begleitende Mahlzeiten.9Die Autor*innen verweisen auf Ortolá R, García-Esquinas E, León-Muñoz LM et al.: Patterns of Alcohol Consumption and Risk of Frailty in Community-dwelling Older Adults. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2016;71(2):251-258. doi:10.1093/gerona/glv125 und Ortolá R, García-Esquinas E, Carballo-Casla A, Sotos-Prieto M, Banegas JR, Rodríguez-Artalejo F: Alcohol consumption patterns and unhealthy aging among older lifetime drinkers from Spain. Drug Alcohol Depend. 2022;235(April):109444. doi:10.1016/j.drugalcdep.2022.109444. Das könnte darauf hindeuten, dass die schützenden Assoziationen dieser potenziell vorteilhaften Trinkmuster bei Personen mit schlechter Gesundheit größer sein könnten, auch wenn sie möglicherweise auf die oben genannten methodischen Probleme zurückzuführen sind.
  • Zu bedenken sind auch Belege, dass sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen bei gleichen oder sogar geringeren Alkoholmengen höhere Raten alkoholbedingter Schäden aufweisen, was wahrscheinlich auf das gleichzeitige Vorhandensein anderer gesundheitlicher Herausforderungen zurückzuführen ist (darunter ein weniger gesunder Lebensstil, geringere soziale Unterstützung oder ein schlechterer Zugang zur Gesundheitsversorgung).10Die Autor*innen verweisen auf Probst C, Kilian C, Sanchez S, Lange S, Rehm J: The role of alcohol use and drinking patterns in socioeconomic inequalities in mortality: a systematic review. Lancet Public Health. 2020;5(6):e324-e332. doi:10.1016/S2468-2667(20)30052-9 und Boyd J, Sexton O, Angus C, Meier P, Purshouse RC, Holmes J: Causal mechanisms proposed for the alcohol harm paradox-a systematic review. Addiction. 2022;117(1):33-56. doi:10.1111/add.15567.
  • Auch die potenziell positiven Zusammenhänge zwischen der Vorliebe für Wein und dem Trinken während der Mahlzeiten könnten bei Personen mit sozioökonomischen Risikofaktoren eine größere Rolle spielen.11Den Autor*innen zufolge hat noch keine Studie untersucht, ob der sozioökonomische Status die Zusammenhänge zwischen diesen potenziell vorteilhaften Trinkgewohnheiten und der Gesundheit verändert.

Ziel der Studie war es deshalb, die Zusammenhänge zwischen mehreren potenziell vorteilhaften Alkoholkonsummustern (d. h. dem Konsum geringer Mengen Alkohol, der Vorliebe für Wein und dem Trinken nur während der Mahlzeiten) und der Gesamt-, Krebs- und kardiovaskulären Mortalität bei älteren Erwachsenen sowie deren Veränderung durch gesundheitsbezogene oder sozioökonomische Risikofaktoren zu untersuchen, wobei die wichtigsten methodischen Probleme, die als Verzerrungsfaktoren für solche Zusammenhänge gelten, berücksichtigt werden sollten.

Aus diesem Grund beschränkten die Autor*innen ihre Analysen auf aktuelle Trinker und verwendeten Gelegenheitstrinker (anstelle von Abstinenzlern) als Referenzgruppe, um Selektionsverzerrungen zu vermeiden. Todesfälle in den ersten zwei Jahren der Nachbeobachtung wurden ausgeschlossen, um die umgekehrte Kausalität zu verringern. Zudem wurden die Analysen an viele soziodemografische, lebensstilbezogene und klinische Variablen angepasst, um verbleibende Störfaktoren (Confounder) zu mildern. Zudem beschränkten die Autor*innen die Analysen auf ältere Erwachsene, da die meisten Todesfälle in dieser Bevölkerungsgruppe auftreten, in der auch gesundheitsbezogene Risikofaktoren weit verbreitet sind, und weil die schützenden Zusammenhänge des Alkoholkonsums speziell bei älteren Erwachsenen beobachtet wurden12Die Autor*innen verweisen auf Griswold MG, Fullman N, Hawley C et al.: GBD 2016 Alcohol Collaborators. Alcohol use and burden for 195 countries and territories, 1990-2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. Lancet. 2018;392(10152):1015-1035. doi:10.1016/S0140-6736(18)31310-2. – mit dem Ziel, potenziell vorteilhafte Trinkmuster zu herauszufiltern.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Rudolph Schutte, Lee Smith, Goya Wannamethee: Alcohol – The myth of cardiovascular protection. Clinical Nutrition Volume 41, Issue 2, 348-355, February 2022. DOI: 10.1016/j.clnu.2021.12.009.
  • 2
    In die Studie waren mehr als 300.000 Teilnehmer*innen einbezogen.
  • 3
    Rosario Ortolá, Mercedes Sotos-Prieto, Esther García-Esquinas, Iñaki Galán, Fernando Rodríguez-Artalejo: Alcohol Consumption Patterns and Mortality Among Older Adults With Health-Related or Socioeconomic Risk Factors. JAMA Netw Open. 2024;7(8):e2424495. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.24495. https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2822215.
  • 4
    Die Autor*innen verweisen auf World Health Organization. Global status report on alcohol and health 2018. https://iogt.org/wp-content/uploads/2018/09/WHO-GSR-Alcohol-2018.pdf.
  • 5
    Die Autor*innen verweisen auf Ng Fat L, Shelton N: Associations between self-reported illness and non-drinking in young adults. Addiction. 2012;107(9):1612-1620. doi:10.1111/j.1360-0443.2012.03878.x, die in ihrer Studie die Zusammenhänge zwischen selbstberichteten Krankheiten, sozialen Faktoren und Gesundheitsverhalten und dem Verzicht auf Alkohol bei jungen Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren erforschten.
  • 6
    Die Autor*innen verweisen auf Naimi TS, Stockwell T, Zhao J et al.: Selection biases in observational studies affect associations between ‘moderate’ alcohol consumption and mortality. Addiction.2017;112(2):207-214. doi:10.1111/add.13451.
  • 7
    Die Autor*innen verweisen auf Gea A, Bes-Rastrollo M, Toledo E. et al.: Mediterranean alcohol-drinking pattern and mortality in the SUN (Seguimiento Universidad de Navarra) Project: a prospective cohort study. Br J Nutr. 2014;111(10):1871-1880. doi:10.1017/S0007114513004376, wobei die positiven Eigenschaften von Wein auf seinen hohen Polyphenolgehalt zurückgeführt werden.
  • 8
    Die Autor*innen verweisen auf Daskalopoulou C, Stubbs B, Kralj C, Koukounari A, Prince M, Prina AM: Associations of smoking and alcohol consumption with healthy ageing: a systematic review and meta-analysis of longitudinal studies. BMJ Open. 2018;8(4):e019540. doi:10.1136/bmjopen-2017-019540 und Kojima G, Liljas A, Iliffe S, Jivraj S, Walters K: A systematic review and meta-analysis of prospective associations between alcohol consumption and incident frailty. Age Ageing. 2018;47(1):26-34. doi:10.1093/ageing/afx086.
  • 9
    Die Autor*innen verweisen auf Ortolá R, García-Esquinas E, León-Muñoz LM et al.: Patterns of Alcohol Consumption and Risk of Frailty in Community-dwelling Older Adults. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2016;71(2):251-258. doi:10.1093/gerona/glv125 und Ortolá R, García-Esquinas E, Carballo-Casla A, Sotos-Prieto M, Banegas JR, Rodríguez-Artalejo F: Alcohol consumption patterns and unhealthy aging among older lifetime drinkers from Spain. Drug Alcohol Depend. 2022;235(April):109444. doi:10.1016/j.drugalcdep.2022.109444.
  • 10
    Die Autor*innen verweisen auf Probst C, Kilian C, Sanchez S, Lange S, Rehm J: The role of alcohol use and drinking patterns in socioeconomic inequalities in mortality: a systematic review. Lancet Public Health. 2020;5(6):e324-e332. doi:10.1016/S2468-2667(20)30052-9 und Boyd J, Sexton O, Angus C, Meier P, Purshouse RC, Holmes J: Causal mechanisms proposed for the alcohol harm paradox-a systematic review. Addiction. 2022;117(1):33-56. doi:10.1111/add.15567.
  • 11
    Den Autor*innen zufolge hat noch keine Studie untersucht, ob der sozioökonomische Status die Zusammenhänge zwischen diesen potenziell vorteilhaften Trinkgewohnheiten und der Gesundheit verändert.
  • 12
    Die Autor*innen verweisen auf Griswold MG, Fullman N, Hawley C et al.: GBD 2016 Alcohol Collaborators. Alcohol use and burden for 195 countries and territories, 1990-2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. Lancet. 2018;392(10152):1015-1035. doi:10.1016/S0140-6736(18)31310-2.

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