Vom Umgang mit narzisstischen Menschen in Gesprächen
Lesedauer: 8 Minuten
Im deutschen Ärztenetzwerk Coliquio1Deutsches Ärztenetzwerk Coliquio: https://www.coliquio.de. schreibt der Psychiater und Psychotherapeut Volker Schlautmann in einem dreiteiligen Artikel (August 2024) über den Umgang mit narzisstischen Mitbürgern (mit dem Untertitel Oder: Wie kriege ich es hin, dass ich mit einem Narzissten endlich mal so interagiere, wie ich es mir im Vorwege theoretisch wünschen würde?).
– Jeder (nicht narzisstische) Mensch will seinen jeweiligen Gesprächspartner (im Idealfall) auf
Augenhöhe (respektvoll, wertschätzend) behandeln und auch von ihm so behandelt werden. Er möchte sich mit seinem Gegenüber auf dieser Basis verständigen und Standpunkte austauschen (auch bei unterschiedlicher Meinung).
– Ein Narzisst hingegen weiß um die Erwartungen seines Gegenübers, erlebt sich aber als überlegen und damit oberhalb der gemeinsamen Augenhöhe, weshalb er kein Interesse daran hat, sein Gegenüber respektvoll zu behandeln. Zugleich ist er (aus sich heraus) in jeder Kommunikation gezwungen, das Erleben der eigenen Überlegenheit bei sich immer wieder neu entstehen zu lassen und sein Gegenüber zu dominieren, d.h. die Begegnung als Gewinner zu verlassen, als jemand, der sein Gegenüber soeben dominiert hat.
Während nicht narzisstische Menschen ganz grundsätzlich in einem Gespräch davon ausgehen, dass sich ihr jeweiliges Gegenüber austauschen möchte, so ist diese Annahme in Kontakt mit einem Narzissten falsch. Ihm liegt nicht daran, sich auszutauschen, sein Ziel ist zu dominieren. Inwieweit ihm das bewusst ist, hängt von seiner Selbstreflexion ab und ist von außen kaum beurteilbar.2Wenn Schlautmann von narzisstischen Personen spricht, gibt er zu bedenken, dass es einen großen Anteil narzisstisch strukturierter Menschen gibt, die sehr wohl charmant, höflich und liebenswert sind, nicht selten sind enorm faszinierende Menschen darunter.
Die Manipulation eines narzisstischen Menschen beginnt, so Schlautmann, zuallererst damit, dass er seinem Gesprächspartner mit seiner gesamten nonverbalen Kommunikation (insbesondere der Körpersprache) glauben macht, es ginge ihm um eine respektvolle und wertschätzende Begegnung und einen inhaltlichen Austausch. Er versucht sein Gegenüber „einzulullen“, versucht eine betont menschliche, Vertrauen suggerierende, Nähe herzustellen – mit dem Ziel, dass sein Gegenüber den Überblick darüber verliert, was sich tatsächlich zwischen ihnen beiden emotional abspielt.3Zur Wahrung eines Überblicks über eine Situation benötigt man ein Mindestmaß an Distanz zur anderen Person.
Wenn der Narzisst die „besseren“ Argumente hat
Für den Fall, dass ein Narzisst die deutlich besseren Argumente hat, nimmt das Gespräch im Allgemeinen zunächst einen ganz üblichen Verlauf (es zeigt sich, dass seine Argumente stimmiger sind), dann aber verlässt der Narzisst die gemeinsame Augenhöhe und verkauft seinem Gegenüber die allgemeingültige Selbstverständlichkeit, dass sein Argument das bessere ist. Er versagt dem Argument seines Gesprächspartners, seiner Gesprächspartnerin gewissermaßen die Daseinsberechtigung (falsch, irrelevant, wertlos) und wird damit in seiner Interaktion herablassend und dominant. Er lässt sein Gegenüber spüren, dass er überlegen ist, womit es dezidiert kein Meinungsaustausch mehr ist.4In einem Gespräch auf Augenhöhe dürfen zwischen zwei nicht narzisstischen Gesprächspartnern, wenn einer von beiden die deutlich „besseren“ Argumente hat, immer noch die Argumente beider Gesprächspartner nebeneinander bestehen bleiben und beide überlassen es im Idealfall im Sinne eines Meinungsaustausches dem jeweiligen Gegenüber, die eigenen Schlüsse aus diesem Austausch von Argumenten zu ziehen.
Wenn das Gegenüber die „besseren“ Argumente hat
Eine wichtige Strategie eines Narzissten (wenn seine Argumente nicht zur Dominanz des Gegenübers ausreichen) ist die Verunsicherung, die häufig über das Verlassen der bis dato vorhandenen Gesprächsebene erfolgt („gedanklicher Sprung“) – abrupt und ohne dass das Gegenüber das sofort und unmittelbar nachvollziehen kann (und ohne auf das einzugehen, was sein Gegenüber gerade gesagt hat). In vielen Fällen klappt die Intervention wegen des Überraschungseffekts.
Auf die Aussage „Ich habe neulich ein wunderschönes Gemälde gesehen, das hat mich richtig angerührt!“, antwortet der narzisstische Gesprächspartner beispielsweise:5Beispiel von Volker Schlautmann im erwähnten Artikel.
- Selbstverständlich warst Du noch nie in Louvre, oder? Ich sage Dir, diese Meisterwerke sind unbeschreiblich!
Wichtig bei diesem Manöver ist es, dass das Gegenüber verunsichert wird, damit es für einen Moment die Orientierung darüber verliert, an welchem Punkt sich das Gespräch gerade befindet. Damit verschafft sich der Narzisst einen strategischen Vorteil, weil er sein Gegenüber dazu in eine reagierende („hinterherlaufende“) Rolle zwingt, während er derjenige ist, der agiert und die Themen vorgibt.
Das Gegenüber wird mit diesem Manöver, zumindest für einen Augenblick, verunsichert und benötigt eine Neuorientierung über die Gesamtsituation. Mit dem abrupten Wechsel des Gesprächsinhalts wechselt der Narzisst aber auch die emotionale Ebene: Er wird aggressiver und damit dominanter.6Aggressiv bedeutet nicht laut. Die neue Situation zeigt eine herablassende, dominante Person, die sich vor seinem Gesprächspartner, seiner Gesprächspartnerin aufgebaut hat – und damit eine Hierarchie.
Eine weitere Möglichkeit, in im Gesprächspartner ein Gefühl der Unsicherheit zu erzeugen, sind einfache aber „heftige“ Sätze, die der Narzisst gezielt einstreut, um sein Gegenüber zu überraschen oder zu verwirren, z.B.:
- Bist Du Dir ganz sicher?
- Für Deine Verhältnisse war das wirklich gut!
- Leute, die etwas vom Thema verstehen, sehen das aber anders als Du!
- Du siehst schlecht aus und wirkst verwirrt! (Gaslighting)
- Du reagierst jetzt vollkommen über!
- Du bildest Dir das alles nur ein! (Gaslighting)
- Du solltest mal zum Psychologen gehen!
- Ohne mich wärst Du echt arm dran!7Beispiele von Volker Schlautmann im erwähnten Artikel.
Anmerkungen/Fußnoten
- 1Deutsches Ärztenetzwerk Coliquio: https://www.coliquio.de.
- 2Wenn Schlautmann von narzisstischen Personen spricht, gibt er zu bedenken, dass es einen großen Anteil narzisstisch strukturierter Menschen gibt, die sehr wohl charmant, höflich und liebenswert sind, nicht selten sind enorm faszinierende Menschen darunter.
- 3Zur Wahrung eines Überblicks über eine Situation benötigt man ein Mindestmaß an Distanz zur anderen Person.
- 4In einem Gespräch auf Augenhöhe dürfen zwischen zwei nicht narzisstischen Gesprächspartnern, wenn einer von beiden die deutlich „besseren“ Argumente hat, immer noch die Argumente beider Gesprächspartner nebeneinander bestehen bleiben und beide überlassen es im Idealfall im Sinne eines Meinungsaustausches dem jeweiligen Gegenüber, die eigenen Schlüsse aus diesem Austausch von Argumenten zu ziehen.
- 5Beispiel von Volker Schlautmann im erwähnten Artikel.
- 6Aggressiv bedeutet nicht laut.
- 7Beispiele von Volker Schlautmann im erwähnten Artikel.